Pünktlich zur BIOFACH 2014 nimmt FiBL-Direktor Urs Niggli in der bionetz.ch-Rubrik Gastkommentare Stellung zu aktuellen Herausforderungen der Biobewegung. In der ersten Folge des bionetz.ch-Interviews geht Urs Niggli der Frage nach dem Sinn und Zweck des diesjährigen BIOFACH-Schwerpunktthemas «Organic 3.0» nach.

bionetz.ch: Welche Herausforderung stehen beim FiBL 2014 im Vordergrund?

Urs Niggli: Momentan geistert der Begriff «Biolandbau 3.0» durch die Bioköpfe. Es ist auch der Aufhänger an der Biofach, der weltweit grössten Fachmesse in Nürnberg. In den Diskussionen merke ich, dass niemand eine Ahnung hat, was damit gemeint ist. Die meisten wissen nicht einmal, was «Biolandbau 1.0» und «Biolandbau 2.0» war.

Ich habe in meinen Vorträgen überall auf der Welt während den letzten 5 Jahren die Notwendigkeit einer Neubestimmung im Biolandbau stets betont. Wir können uns im 21. Jahrhundert nicht mehr von den Pionieren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also «Biolandbau 1.0» um es salopp auszudrücken, alleine leiten lassen. Und wir sind auch bezüglich Standardisierung, Reglementierung und Globalisierung («Biolandbau 2.0») an ein vorläufiges Ende gekommen.

Der «Biolandbau 3.0» sollte wieder eine neue Vielfalt von Ideen und Konzepten bringen, quasi einen bunten Strauss von Alternativen zur industrialisierten Landwirtschaft, welche nach der Ansicht führender Wissenschaftler unseren Planeten bedroht. Der Biolandbau sollte sich nicht nur über Verbote definieren, sondern über die Fähigkeit, überzeugende Lösungen für lokal und global existenzielle Probleme zu liefern.

FiBL Urs Niggli Smiling July2010  2FiBL-Direktor Urs Niggli (Bild: FiBL)

Daran arbeiten wir mit aller Kraft auch im Jahr 2014. Ein Beispiel dafür ist die Kombination von Biolandbau, verstanden als Verbindung von Fruchtfolge, organischer Düngung, Leguminosen und mechanischer Unkrautregulierung einerseits sowie der konservierender Bodenbearbeitung andererseits. Wir nutzen die Vorteile beider Massnahmen, ohne dass wir uns Gentechnik, noch mehr Stickstoffdünger und «Roundup» dafür einhandeln.

Ein anderes Beispiel ist die Produktion von Eiweiss für die Futtermittelindustrie und von Fetten für die technische Industrie aus Lebensmittel- und anderen organischen Abfällen mithilfe der gefrässigen Larven der «Schwarzen Soldatenfliege». Hier stehen wir nach mehreren Jahren Grundlagenforschung vor der Anwendung im Grossmassstab. Wir haben mehr als 10 solcher Forschungsgebiete, welche einerseits brennende Probleme des Biolandbaus lösen sollen, anderseits aber auch das Potential haben, aus dem Biolandbau heraus wegweisende Lösungen für die ganze Gesellschaft zu bringen.

bionetz.ch: Welche aktuellen FiBL-Forschungsfelder sind für Verarbeitungs- und Handelsunternehmen von besonderer Bedeutung?

Urs Niggli: Mit «Biolandbau 3.0» wird auch meine persönliche Vision von «Natur und Hightech» genauer zu definieren sein. Bei Puristen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft löse ich mit Äusserungen zu Hightech meist Ärger aus. Aber ich glaube, im Biolandbau haben zwei Ausrichtungen Platz, nämlich «Edelbio» und «Volksbio». Das eine ist das Traditionelle, Kleinbäuerliche, welches stark mit der bäuerlichen Kultur verbunden ist. Dies wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, z.B. um eine ressourcenschonende Bewirtschaftung von klimatisch oder geographisch benachteiligten Regionen in Europa oder in Entwicklungsländern sicher zu stellen. Die Stärke dieser Landwirtschaft ist es, die Nachfrage nach handwerklich hergestellten, authentischen oder «urchigen» Lebensmitteln zu decken.

Aber es soll auch einen Biomassenmarkt geben. Wir wollen, dass auch städtische Konsumenten, weniger gut verdienende Leute, Schüler und Studenten oder kinderreiche Familien gute Bioprodukte kaufen können. Diese Nachfrage kann auch von grösseren Produktionseinheiten hergestellt werden.

Im Zeitalter des permanenten Internetzugangs, GPS, Dutzenden von Sensoren in jedem Küchengerät sowie Hochgebirgs-Tenüs für Naturburschen mit Nanotech-Beschichtungen muss sich auch der Biolandbau überlegen, wie er mit dem technologisch-wissenschaftlichen Fortschritt umgeht. Sicher wird das ein kritischer Entwicklungsprozess sein, indem man Ökologie, gesunde Ernährung und gesellschaftliche Aspekte stark gewichtet. Aber es werden keine einfachen «schwarz-weiss»-Entscheide mehr sein. Deshalb wäre ich froh, man hätte im Biolandbau weniger Scheuklappen.

Scharrenberg DSCN0857Handwerkliche Brotherstellung bei der Bio-Bäckerei Scharrenberg (Bild: Bio-Bäckerei Scharrenberg)

In beiden Bereichen sieht das FiBL seine Arbeitsgebiete. Im «kleinbäuerlichen» durch seine Projekte mit antibiotikafreier Milcherzeugung, reiner Grasfütterung von Gross- und Kleinwiederkäuern, bei der Selektion der besten Raufutterkühe oder zur natürlichen Entwurmung von Weidetieren mit Esparsettenheu. Beim «Volksbio» sind unsere Züchtungsforschungsprojekte bei Pflanzen und Tieren.

Die Entwicklung ganz neuer biologischer Kontrollmöglichkeiten von Krankheiten und Schädlingen, die Entwicklung eines Futterzusatzes zur biologischen Entwurmung mit nematophagen Pilzen bei Nutztieren, die Entwicklung von Werkzeugen für die Nachhaltigkeitsbewertung oder die Marktforschung sind dabei besonders relevant.

Im Bereich von Biohandel und Bioverarbeitung sind wir eher schwach. Natürlich helfen wir vielen Verarbeitern und Händlern bei Richtlinienfragen, beraten sie bei Verarbeitungsverfahren, machen auch viele Beschaffungsprojekte weltweit. Wir planen auch, eine gute Datenbank für Rohstoffe und Zutaten in biologischer Qualität aufzubauen. Aber es fehlt uns an Möglichkeiten, experimentell in der Lebensmitteltechnologie tätig zu sein.

Dabei wäre es wichtig, an der Idee der schonenden Lebensmittelverarbeitung weiter zu arbeiten. Besonders deshalb, weil verarbeitete Bioprodukte immer wichtiger werden. Wir hoffen, dass wir dabei in Zusammenarbeit mit Agroscope in Zukunft mehr erreichen können.

 

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