- 13. Oktober 2014
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Einmal im Jahr versammelt die BIOFACH, Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel, Vertreter des gesamten Sektors in Nürnberg –zuletzt 2.263 Aussteller und 42.445 Besucher. Sie alle gestalten von dort aus die Zukunft des globalen Marktes sowie der Bio-Bewegung und die Politik mit. Zur nächsten BIOFACH vom 11. bis 14. Februar 2015 richtet die Branche ihren Blick auf die Rahmenbedingungen. Diese sind mitentscheidend für die Weiterentwicklung von Bio und ausschlaggebend für die nachhaltige Zukunft der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Der Startschuss für die Bio-Zukunftsdebatte unter der Überschrift «Organic 3.0» fiel auf der BIOFACH 2014 anlässlich des 25. Jubiläums der Fachmesse. Nun führt die Branche diese im BIOFACH Kongress 2015 fort.
Der BIOFACH und VIVANESS Kongress umfasst rund 100 Vorträge und Diskussionsrunden und erreicht mehr als 6.500 Teilnehmer. Er ist der weltweit grösste Bio-Branchenkongress und einzigartige Plattform für Wissens- und Informationsaustausch.
Rechtliche Rahmenbedingungen im Fokus
Die Rahmenbedingungen für die Land- und Lebensmittelwirtschaft werden lokal, national, international und global in zahlreichen rechtsverbindlichen oder strategischen Dokumenten von Staaten oder Staatengemeinschaften geschaffen. Sie legen beispielsweise fest, wie ökologisch orientierte Landwirtschaft gefördert, kommuniziert und erforscht wird oder welche Vorschriften Erzeugung, Verarbeitung und Handel beachten müssen. In Europa werden die Produktionsbedingungen von Bio-Lebensmitteln auf EU-Ebene gesetzt, in den Mitgliedsstaaten ausgestaltet und durch nationale Bestimmungen ergänzt und dann regional und kommunal in die Praxis umgesetzt.
EU-Öko-Verordnung, Düngemittel-, Saatgut- und Pflanzenschutzrecht oder Gentechnik-Gesetz – das sind nur einige der Rechtsakte, die den Rahmen für die Land- und Lebensmittelwirtschaft abstecken. Neben Gesetzen, die den Wirtschaftsbeteiligten Rechtssicherheit garantieren und einen fairen Wettbewerb ermöglichen, sind Fördermassnahmen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP), wie beispielsweise Direktzahlungen an Landwirte oder die Ausrichtung der Forschungspolitik von grosser Bedeutung.
Peter Röhrig, Geschäftsführer «Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft» (BÖLW, Berlin, D): «Wie sehr die Überarbeitung eines Gesetzes das komplette Selbstverständnis der Branche erschüttern kann, zeigt der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Totalrevision der EU-Öko-Verordnung. Fast unisono läuft Europas Bio-Sektor Sturm gegen die Vorschläge, die sich wie eine in Papier gefasste Schrumpfkur für die Ökologische Lebensmittelwirtschaft lesen. Statt ‚more and better' – wie von der EU-Kommission als Ziel benannt – sind alle Wirtschaftsbeteiligten nun von einem ‚less and worse' bedroht. Wer ‚more and better' will, muss die bestehende EU-Öko-Verordnung an den entscheidenden Stellen weiter- entwickeln.»
Europäisches Bio-Recht und internationale Handelspolitik
Markus Arbenz, Geschäftsführer International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM, Bonn, D): «Bei der Diskussion um die Öko-Zukunft und die Gestaltung guter Rahmenbedingungen für mehr Bio rücken auch Instrumente der internationalen Handelspolitik in den Fokus. Mit bi- oder multilateralen Abkommen wie TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen/Transatlantic Trade and Investment Partnership), CETA (Kanada-EU Handelsabkommen/Comprehensive Economic and Trade Agreement) oder TiSA (Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen/ Trade in Services Agreement) wird nicht nur der Versuch unternommen, Handel weltweit zu Ungunsten des Bio-Sektors zu reorganisieren.
Besonders die Bio-Branche muss genau darauf achten, welche Standards der Agrar- und Ernährungskultur essentiell und nicht verhandelbar sind. Denn Bio muss sich weiter dynamisch und als Leitbild der Ernährungswirtschaft entwickeln, um die Herausforderungen Klimawandel, Ernährungssouveränität, Biodiversitäts- und Ressourcen-Verlust meistern zu können. Das Jahr des Bodens 2015 der Vereinten Nationen (UNO) ist eine Chance dazu.»
IFOAM, internationaler Schirmherr der BIOFACH, und BÖLW, nationaler ideeller Träger, setzen gemeinsam 2015 innerhalb des Kongressschwerpunktes neben weiteren folgende vier Akzente:
1. Die Überarbeitung des Europäischen Bio-Rechts
Die Grundsätze ökologischen Wirtschaftens sind mit der EU-Öko-Verordnung seit über 20 Jahren in einen rechtlichen Rahmen gekleidet. Gemeinsam mit den Praktikern und gemäß den neuen Herausforderungen, die sich durch Fortschritt und Professionalisierung des Bio-Sektors in der EU und weltweit ergeben, wurden sie kontinuierlich weiterentwickelt. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Komplettüberarbeitung des EU-Bio-Rechts vom März 2014 schlug deshalb in vielen EU-Mitgliedsstaaten ein wie eine Bombe. Mit der geplanten Einzelhandelskontrolle würden viele Bio-Verkaufsstätten wegfallen. Mit der Abschaffung von Flexibilisierungsregeln wird es weitaus schwieriger, Öko-Produkte in allen Regionen Europas erzeugen zu können.
Die Festlegung spezieller Grenzwerte für Bio-Produkte höhlt das bewährte und erfolgreiche Prinzip der prozessorientierten Kontrolle aus. Zudem erschweren die Vorschläge den Bauern aus den armen Ländern des Südens den Marktzugang, weil sie europäische statt lokal angepasste gleichwertige eigene Standards zu befolgen haben. Die Vorschläge der EU-Kommission verunsichern die Branche. Das Ringen um eine Zurückweisung des Vorschlags und eine gezielte Fortschreibung des bestehenden Bio-Rechts in bewährter Manier bestimmt deshalb heute die politische Arbeit der Branche EU-weit und wird auch auf der Weltleitmesse diskutiert.
2. Internationale Handelspolitik: Importe, TTIP und Co.
Die Bio-Welt wächst und mit ihr der Handel. Das bedeutet einerseits, dass die Handelsbeziehungen innerhalb der Bio-Branche einer genauen Prüfung bedürfen. Ausserdem müssen der Mechanismus von Im- und Exporten verstanden und weiterentwickelt werden und die Standards ausländischer Produktion und Kontrolle in den Fokus rücken. Andererseits wirtschaftet der Bio-Sektor nicht unter der Glasglocke. Internationale Abkommen, wie zum Beispiel TTIP, verlangen, dass sich die europäische und nordamerikanische Bio-Branche für den Erhalt einer Agrar- und Ernährungskultur einsetzt, die von hohen Standards in Landwirtschaft und Verarbeitung aber auch von einem demokratischen und transparenten Zustandekommen von Regeln und Gesetzen bestimmt ist.
3. Die Milleniums Entwicklungsziele
Nach den auslaufenden Millenniums Entwicklungszielen bestimmen die «Sustainable Development Goals» (SDG) die politischen Zielsetzungen der Vereinten Nationen. Die aktuell diskutierten SDG bestimmen die Indikatoren und Ziele, auf die sich die Länder der Welt verpflichten. Dank des Engagements der internationalen Bio-Akteure ist inzwischen eine nachhaltige Landwirtschaft darin verankert.
Der Druck muss aber nach Auffassung der Branche aufrechterhalten werden, damit alle Beteiligten sich in Richtung mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft verpflichten und somit förderliche Rahmenbedingungen für die Bio-Landwirtschaft schaffen. Erhalt und Förderung der Bodenfruchtbarkeit sind Anliegen des Öko-Landbaus der ersten Stunde. Im UNO-Jahr des Bodens kann eine ökologische Bewirtschaftung als Lösungsstrategie für den anhaltenden Verlust der Ressource Boden positioniert werden.
4. Europäische Innovationspartnerschaften
Ziel der Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP) ist es, die Innovationstätigkeit in Europa zu beschleunigen. Ausserdem sollen die bestehenden Koordinierungsinstrumente von der Forschung bis zum Markt besser aufeinander abgestimmt werden. Der neue Bottom-up-Ansatz der EU will mit so genannten «Operationellen Gruppen» (OPG) frischen Wind ins landwirtschaftliche Innovationsgeschehen bringen und einen besseren Austausch zwischen Praxis und Forschung fördern.
Die OPGs sollen künftig die Keimzellen innovativer Projektarbeit sein, die eine nachhaltige und produktive Landwirtschaft zum Ziel hat. Die Implementierung der EIP erfolgt thematisch. In der EIP Agri – dem Innovationsprogramm im Bereich der Landwirtschaft – sollen die landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit als Schnittstelle zwischen Landwirtschaft, Bio-Ökonomie, Wissenschaft und weiteren Beteiligten gestärkt werden. EIPs können als Modell regionaler bis internationaler Vernetzung diskutiert werden.
Die BIOFACH bietet Vertretern der OPGs aus den verschiedenen Mitgliedsstaaten eine Plattform, um von ihren Erfahrungen zu berichten, in den Austausch mit anderen Projektteilnehmern zu treten und das Modell EIP auch Nicht-Europäern näherzubringen.
Quelle und weitere Informationen: