Im aktuellen bionetz.ch-Gastkommentar wirft Andreas Bosshard, Geschäftsleiter von «Vision Landwirtschaft», einen kritischen Blick auf die «Wachstumsfalle» im Spannungsfeld zwischen Weltbevölkerung und landwirtschaftlicher Produktion.

«Die Weltbevölkerung wächst. Wollen wir sie weiterhin ernähren, stehen wir vor der grossen Herausforderung, die landwirtschaftliche Produktion weiter zu steigern.» Dieses Denkschema wird so häufig wiederholt, dass kaum mehr jemand auf den Gedanken kommt, es infrage zu stellen. Auch der Biolandbau ist dafür empfänglich und lässt sich so unter Druck setzen, die nachhaltige Produktionsweise wenn nötig auch mal der Produktionssteigerung zu opfern.

Doch das Denkschema ist falsch. Spätestens seit dem letzten Weltagrarbericht gehört es zum Allgemeinwissen, dass nicht die produzierte Menge an Nahrungsmitteln den Engpass für die Ernährung der Weltbevölkerung darstellt. Selbst heute, trotz riesiger für die landwirtschaftliche Produktion mittlerweile unfruchtbar gewordener Regionen, trotz Millionen von Hektaren Brachland in Europa und Asien, produziert die globale Landwirtschaft mehr als genug Nahrungsmittel für die Ernährung der Menschheit.

Vision Landwirtschaft ABosshardAndreas Bosshard, Vision Landwirtschaft (Bild: Vision Landwirtschaft)

Dass dennoch, bei einer Weltbevölkerung von 7,3 Milliarden, nach wie vor fast eine Milliarde Menschen hungern, ist zuallerletzt ein Problem der produzierten Menge. Die wirklich wesentlichen Fragen betreffen vier ganz andere Problemkreise: Den global extrem ungleichen Zugang zu Nahrungsmitteln, eine gigantische Verschwendung von Nahrungsmitteln, eine in verschiedenen Produktionszweigen enorm ineffiziente Produktion und einen nicht nachhaltiger Nahrungsmittelkonsum, insbesondere der ökologisch und gesundheitlich viel zu hohe Fleischkonsum in den Industrie- und Schwellenländern. Bisher ist nie ausgerechnet worden, welches Potenzial weltweit in diesen vier zentralen Hebeln steckt. Doch reicht eine Milchbüchleinrechnung aus, um zu zeigen, dass es viele Milliarden Menschen wären, die dadurch zusätzlich ernährt werden könnten, ohne dass die Produktion auch nur um ein Kilogramm gesteigert werden müsste.

An einem Beispiel aus der hiesigen Landwirtschaft kann gut demonstriert werden, in welcher Grössenordnung die Optimierungspotenziale einer effizienten, nachhaltigen Primärproduktion liegen. Allein durch die Hunderte von Tonnen Kraftfutter, welche die Schweizer Landwirtschaft (einschliesslich Biolandbau) den Milchkühen zur (umweltbelastenden und nicht tiergerechten) Leistungssteigerung vorsetzen, vernichtet sie Nahrungsmittel für 2 Millionen Menschen - netto, also unter Einbezug der produzierten Milchmenge. Das entspricht einem Viertel der Schweizer Bevölkerung, das zusätzlich ernährt werden könnte, würde die Milchproduktion wieder konsequent auf Gras umgestellt. Bevor solche gravierenden Ineffizienzen nicht behoben, ja nicht einmal diskutiert werden, erscheint es wie ein schlechter Witz, dass Forschung und Politik sich mit aller Energie weiterhin auf Produktionssteigerungen kaprizieren und die zentralen Hebel, welche zur Ernährungssicherheit tatsächlich etwas beitragen könnten, links liegen lassen.

Es besteht also keinerlei Grund für den Biolandbau, sich dem Produktionshype anzuschliessen und sich von den Moralpredigten der hehren Welternährer anstecken zu lassen. Stattdessen braucht es den Mut zur Feststellung, dass weniger mehr ist. Denn bereits heute pressen wir in der Schweiz zu viel aus unseren Böden und Tieren heraus. Wir nehmen dadurch gravierende Schäden unserer Produktionsgrundlagen in Kauf, die verantwortlich sein werden dafür, dass wir in Zukunft nicht mehr, sondern weniger produzieren können, selbst wenn wir immer mehr Energie, Technik, Hochleistungszucht und Hilfsstoffe einsetzen.

Bauernbetriebe, welche sich dem Wachstums- und Produktionsfetisch konsequent widersetzen, zeigen eindrücklich, dass diese Strategie nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch mehr als aufgeht. Einer, der sie besonders konsequent praktiziert, erwirtschaftet mit seiner Milchproduktion selbst beim heutigen Milchpreis einen Stundenlohn von 50 Franken, und dies bei einer Betriebsgrösse von weniger als 20 Hektaren (vgl. Infolinks). Zum Vergleich: Ein Grossteil der Schweizer Milchproduzenten, vor allem die Wachstums- und Hochleistungsbetriebe, stehen derzeit für 0-10 Franken die Stunde im Stall. Sich der Wachstumsfalle zu verweigern ist eine Chance für den Biolandbau, und der Biolandbau könnte damit auch zur Chance für eine zukunftsfähige Landwirtschaft werden.

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