- 19. März 2015
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Bauern schauen bei einer Kuh zuerst aufs Euter, Konsumenten auf die Hörner. Der Anblick behornter Kühe hat für die Konsumenten einen Wert, für die Bauern einen Preis. Und den zu bestimmen ist ausgesprochen schwierig.
Kühen wachsen Hörner. Meistens jedenfalls, denn es gibt auch Tiere, die genetisch hornlos sind, aber um diese Minderheit soll es in diesem Beitrag nicht gehen. Ebenso wenig wie darum, ob das Horntragen eine Frage der Würde oder eine Frage des Tierwohls ist. Dem Tier wäre es mit Sicherheit lieber, es müsste das Hornentfernen nicht über sich ergehen lassen.
Benötigt mehr Platz
Aber wenn das Horn auf dem Kopf bleibt, hat das Folgen: Man muss vorsichtiger mit den Tieren umgehen, die Tiere brauchen mehr Platz im Laufstall. Ein Bauer kann auf der gleichen Fläche weniger Tiere halten. Das hat einen Preis, aber bislang hat diesen Preis noch niemand genannt.
In der Diskussion ist meistens nur vom «Hörnerfranken» die Rede, also von einem Franken pro Tag und Kuh, die zwei Hörner trägt. Das klingt gut, ist schnell zu rechnen und einfach zu kommunizieren. Ob dieser Franken jedoch «gerecht» ist, ist fraglich, wie eine Auslegeordnung zu dem komplexen Thema zeigt.
Anbindehaltung fördern und Laufstall strafen?
Laut einer Umfrage von «KAGfreiland» tragen allein von den Milchkühen noch etwa 160'000 Tiere Horn, davon werden rund 100'000 in einem Anbindestall gehalten. Ob die Politik diese Stallhaltungsform jemals mit 35 Mio. Franken im Jahr (100'000 Kühe à 1 Fr. pro Kuh und Tag) unterstützen würde, darf bezweifelt werden. Zumal dieselbe Politik für Milchkühe, die im als tierfreundlich geltenden Laufstall gehalten werden, aktuell nur rund 20 Mio. Franken Direktzahlungen im Jahr spricht.
Warum das Hörnertragen dem Staat so viel mehr wert sein soll als die Bewegungsfreiheit, dürfte selbst gestandene Politiker in Erklärungsnot bringen. Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich sogar einfacher, das Geld am Markt zu holen, statt beim Parlament. Bei durchschnittlich 7'500 Litern Milch pro Kuh und Jahr wäre bereits ein Hornzuschlag von 5 Rappen pro Liter für die Bauern interessant.
Natürlich müssten die Konsumenten dann mindestens zehn Rappen mehr für Hornmilchprodukte bezahlen, da Handel und Verarbeiter ja auch noch ihre Logistikkosten gedeckt haben wollen. Doch selbst das würde Otto-Normalverbraucher bei einem Milchkonsum von 350 Litern pro Kopf und Jahr nicht mehr als 35 Franken kosten. Das ist so viel wie der Durchschnittshaushalt im Jahr für Tabakwaren ausgibt oder für Computer und Bürozubehör. Und das sieht alles nicht so schön aus wie eine Kuh mit Horn. Oder etwa nicht?
Nur noch wenige behornte Kühe
Das Problem liegt auf der Hand: Ein einheitlicher Hörnerfranken würde einem Bauern mit einem Anbindestall für 30 Kühe zu einem satten Zusatzeinkommen von rund 10'000 Franken verhelfen. Und das ist die Stallart, in der der weitaus grösste Teil der horntragenden Tiere untergebracht ist. Laut einer Umfrage von KAGfreiland hat im Anbindestall beispielsweise noch jede dritte Milchkuh Hörner auf dem Kopf.
Beim Laufstall im Beispiel 1 der KAG-Umfrage müsste der Bauer mit den Beiträgen erst einmal die Mehrkosten amortisieren, bevor er mehr am Horn der Kuh verdient. Das gelänge ihm innerhalb von drei Jahren problemlos. Beim zweiten Beispiel nimmt die Amortisation der Mehrkosten via Hörnerfranken 10 bis 15 Jahre in Anspruch. Eine einheitliche Hörnerprämie pro Kuh und Tag erscheint deshalb wenig «gerecht».
So fördert der Bund das Tierwohl
Aktuell fördert der Bund mit zwei Programmen das Wohl der Nutztiere: Mit den «Besonders tierfreundlichen Stallhaltungssystemen» (BTS) und dem «Regelmässigen Auslauf im Freien» (RAUS). Die Beiträge werden dabei pro Grossvieheinheit (GVE) bezahlt. Eine GVE entspricht einem Tier mit einem Lebendgewicht von 500 kg, das ist ungefähr so viel wie eine ausgewachsene Kuh wiegt. Die Tierwohlbeiträge sind für verschiedene Tierarten definiert und in der Regel auch noch altersabhängig gestuft. Pro Kuh können heute maximal 280 Franken Tierwohlbeiträge abgeholt werden. Würde ein Hörnerfranken pro Kuh und Tag eingeführt liesse sich die Summe pro Tier auf bis zu 645 Fr. steigern. Zum Vergleich: Der im letzten Jahr mit der Agrarreform abgeschaffte Allgemeine Tierbeitrag lag bei 450 Franken.
Mehrkosten: Von Null bis 5'000 Franken
Denn so unterschiedlich wie die Mietkosten von Schweizer Wohnungen, so unterschiedlich sind auch die Kosten der Tierunterbringung. Im Anbindestall muss man beim Umgang mit horntragenden Kühen zwar etwas mehr Vorsicht walten lassen, aber Zusatzkosten entstehen praktisch keine. Die Mehrkosten der fürs Horn-Dranlassen liegen also mehr oder weniger bei null.
Anders sieht das im Laufstall aus: Dort benötigen behornte Kühe deutlich mehr Platz, wenn man verhindern will, dass sie sich bei Rangeleien verletzen. Und dieser Platz ist teuer. Wie teuer hängt vor allem von der Bauweise ab. Der Agrarbericht 2014 führt zwei Beispiele dazu auf: Beim ersten handelt es sich um einen Laufstall im zürcherischen Pfäffikon.
In diesem Offenstall mit isoliertem Dach steht jeder Kuh inklusive Auslauf 16 Quadratmeter (qm) Fläche zur Verfügung – für hornlose Tiere würden laut Schweizer Standard bereits 10 qm reichen. Der Betriebsleiter schätzt, dass die Mehrkosten für die Hornträgerinnen rund 1'000 Franken pro Stallplatz betragen. Der andere im Agrarbericht vorgestellte Betrieb liegt im rauen Toggenburger Klima auf 950 m.ü.M.. Der Betriebsleiter hat für seine behornten Kühe einen geschlossenen Kaltstall gebaut, in dem jeder Kuh komfortable 19,1 qm Fläche zur Verfügung steht. Bei 30 Kuhplätzen ging das natürlich ins Geld: Die Mehrkosten gegenüber einem Stall für hornlose Kühe dürften 100'000 bis 150'000 Franken betragen und damit 3'000 bis 5'000 Franken pro Hornträgerin.
Unbekannte Kosten bei Tierwohlbeiträgen
Das gilt auch im Verhältnis vom Hörnerfranken zu anderen Tierwohlbeiträgen. Denn die Beiträge für «Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme» (BTS) und «Regelmässiger Auslauf im Freien» (RAUS) fallen mit 90 Fr. pro Kuh und Jahr (BTS) bzw. 190 Fr. pro Kuh und Jahr (RAUS) deutlich tiefer aus, obwohl in beiden Fällen Mehrkosten entstehen: zum Beispiel für grössere Stallflächen, Einstreu oder Mehrarbeit, wenn beispielsweise die Tiere vom Stall zur Weide geführt werden müssen. Beziffern lassen sich diese Mehrkosten allerdings genauso wenig.
«Die Mehrkosten für BTS entsprechen der Differenz zwischen den Betriebskosten von BTS-Ställen und jenen von Nicht-BTS-Ställen», erklärt Jürg Jordi, der Mediensprecher vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Doch das ist graue Theorie. In Wahrheit kennt der Bund die Kostendifferenz nämlich gar nicht, sie wurden laut Jordi auch nie analysiert. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stallsystemen, den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und der Anzahl Stallplätze sind bei den vielen Tausend Tierhaltungsbetrieben in der Schweiz einfach zu gross.
Jordi: «Angesichts der bekanntlich geringen Aussagekraft von Differenzen zwischen zwei Gruppendurchschnitten mit jeweils grosser Standardabweichung hat der Bund auf entsprechende Berechnungen verzichtet.» Das gilt auch für die RAUS-Beiträge: Der eine Bauer muss vielleicht nur die Stalltüre zur Weide öffnen und kann damit den Beitrag abholen. Während ein anderer zusammen mit einer oder gar zwei Hilfspersonen seine Tiere erst durch das ganze Dorf treiben muss um sie weiden lassen zu können. Letzten Endes definieren also nicht die Kosten, sondern einzig und allein die Politik, was das Tierwohl wert ist. Das Parlament legt die zur Verfügung stehende Summe der finanziellen Mittel fest und damit den Preis. Mit Kostendeckung hat das wenig zu tun.
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