Schützer und Ethiker haben es gut. Sie sind eigentlich immer auf der sicheren Seite. Sie können etwas fordern, was andere umzusetzen haben. Sie können Ratschläge erteilen, ohne die Voraussetzungen und Konsequenzen diskutieren geschweige denn tragen zu müssen. Der Beifall des nur teilinformierten Publikums ist ihnen sicher.

Damit soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, die Forderungen der Schützer und Ethiker wären falsch. Sie sind eigentlich immer gerechtfertigt – und oft ziemlich billig zu haben. Denn es handelt sich meistens nicht um guten Rat, der bekanntlich teuer ist.

Beispiel: Konsumentenschützer möchten die Preisanschrift auf jedem einzelnen Artikel. Sie weisen Umfragen vor, die zeigen, dass sie in dieser Forderung von der Konsumentenschaft unterstützt werden (auch ich finde Preisanschrift auf Produkten nicht schlecht). Als ich beruflich noch etwas näher am Detailhandel war, lud ich einen vollberuflichen Konsumentenschützer ein, einmal ein paar Stunden beim Preisauszeichnen mitzumachen. Er beantwortete die Einladung nicht.

Vor mehreren Jahren brachte die Konsumentenschutz-Zeitschrift K-Tipp eine Story zweier junger Frauen, die eines schönen Sonntags nach einem Spaziergang im Gasthof einkehrten und zusammen eine Pizza bestellten (selbstverständlich mit zweitem Teller und Besteck) – dazu je ein Glas Brunnenwasser. Der Wirt erfrechte sich, für das Wasser etwas zu verlangen. Die Frauen empörten sich und teilten ihre Empörung dem K-Tipp mit. Dieser erkundigte sich auf der Gemeinde nach dem Preis für einen Kubikmeter Wasser und rechnete aus, dass der Wirt eine Marge von mehreren Tausend Prozent gefordert hatte. Skandal!

Der Skandal besteht oft tatsächlich in bestimmten, manchmal erbärmlichen Verhältnissen (Arbeitsbedingungen von Menschen, Haltungsbedingungen von Tieren). Ein Skandal ist es aber eigentlich auch, dass Schützer und Ethiker so locker etwas anprangern oder Alternativen erwähnen können, dass der uninformierte Leser den Eindruck bekommen kann, es sei schiere Bösartigkeit, dass Läden die Preise nicht mehr anschreiben wollen, dass das Restaurant für ein Glas Wasser etwas verlangt. Und so weiter.

Schützer und Ethiker sind in der Regel Spezialisten. Gerade die Landwirte sind von vielen solchen Spezialisten umgeben. Vogelschützer, Naturschützer, Tierschützer, Bodenschützer, Luftschützer. Teilweise haben es die Spezialisten fertig gebracht, dass einzelne Forderungen Gesetz geworden oder mit der Leistung von Subventionen verknüpft worden sind. Das ist gut so, denn so haben alle Bauern gleiche Spiesse – bis dereinst sich die Grenzen öffnen.

Diese Zeilen haben einen aktuellen Anlass: KAG moniert zum Tag der Milch am 18. April die sogenannten Kuhtrainer (Link), die in der Biolandwirtschaft seit einiger Zeit verboten sind. Es ist durchaus richtig, darauf hinzuweisen. Am KAG-Pranger stehen nicht nur Bauern, die den Kuhtrainer nach wie vor einsetzen, sondern auch nachgelagerte Betriebe, welche Milch von solchen Bauernhöfen verarbeiten. Auch dies ist sowohl richtig wie billig. Richtig ist zu kritisieren, dass ein problematisches Produkt nicht gleich auch noch mit Heileweltattributen wie „Heidi“ schöngeworben werden sollte. Billig ist es, weil Verarbeitungsbetriebe (v.a. traditionell-mittelständische) gar nicht die Option haben, nur noch Kuhtrainer-freie Milch zu verarbeiten.

Richtig und gleichzeitig billig ist der Hinweis auf Kuhtrainer-alternativen, spätestens an der Stelle, wo KAG schreibt: „Kuhzüchtiger kommen nur in Anbindeställen vor. In Laufställen, der tierfreundlicheren Haltungsform, ist er nicht nötig. Denn der meiste Kot und Harn fällt im Aktivbereich (Fressplatz, Laufgänge) an, wo mechanisch entmistet wird. Liegt ein Laufstallbau nicht drin, so kann das natürliche Verhalten der Kühe durch viel Auslauf und Weide ermöglicht werden.“ Der aufmerksame Leser merkt vielleicht, dass Laufställe evtl. nicht drinliegen. Während KAG die Kosten für mechanische Alternativen zum elektrischen Kuhtrainer beziffert, ist von den wirtschaftlichen Implikationen von Laufstall und Auslauf nicht mehr die Rede. In Kenntnis des Investitionsbedarfs könnte man ja womöglich noch Verständnis für die so herzlosen Bauern entwickeln.

Gewiss ist es als Fortschritt zu werten, dass in der EU und in der Konsequenz auch in der Schweiz Anbindehaltung ab einer gewissen Betriebsgrösse verboten werden soll (dann braucht es auch keine Kuhtrainer mehr). Die Bioverordnung des Bundes verbietet sie im Prinzip bereits heute – mit Ausnahme Kleinbetriebe. Es sieht so aus, als ob die Grenze bei 35 Tieren gezogen würde, was bedeutet, dass das Verbot für die meisten Betriebe in der Schweiz nicht gilt. Würde die Grenze bei 20 Tieren oder tiefer gesetzt werden, dann hätte dies einen massiven Strukturwandel in der Landwirtschaft zur Folge. Aber auch hier gibt es Schützer, Strukturschützer, gemeint sind die Bauernschutzorganisationen (Bauernverband, SVP, VKMB).

Oben wurde festgestellt: Schützer sind Spezialisten. Das wurde in den Gründerjahren von Bio Suisse und KAG ganz offensichtlich: die einen forderten, dass die Hühner mit Biofutter verköstigt werden, die Haltung war weniger wichtig. Die anderen debattierten nur die Haltung und fütterten konventionelles Futter. Es war eine Zeit vieler Gehässigkeiten. Diese wurden überwunden.

Und mit Anerkennung anzumerken ist, dass die KAG nie nur forderte, sondern sich immer wieder aktiv in der Suche und Entwicklung von Alternativen engagierte.

Auf Spezialistenstufe verharrt dagegen nach wie vor der Verein gegen Tierfabriken (VgT). In seiner Jubiläumsausgabe schreibt er wieder einmal über das Kloster Fahr, kritisiert die Diskrepanz zwischen Mirgos-Werbebild und effektiver Haltung, prangert im Vorbeiweg die Lebensbedingungen der 3500 Hühner des Eichberg, Seengen, an und widmet die letzte Seite (Werbewert mehrere Tausend Franken) dem vegetarischen Restaurant „tibits“. Ist das die Anerkennung dafür, dass „tibits“ zum konventionellen Kaffee KnospeZucker und Knospe-Kaffeerahm anbietet? Gewiss nicht. Denn VgT empfiehlt die Knospe ausdrücklich nicht, nur Demeter – und dies vermutlich „nur“ wegen dem Enthornungsverbot.

Nein, VgT setzt sich nicht für bio ein, nur für Tierschutz. Und hier muss man dem VgT Konsequenz zubilligen: Das Tierschutzproblem ist nämlich am besten gelöst, wenn es keine Tiere mehr gibt. „tibits“ als vegetarisches Restaurant verarbeitet im Vergleich zu einem konventionellen Restaurant nur geringe Mengen tierischer Produkte. Also kann man ein vegetarisches Restaurant empfehlen – ob bio oder nicht.

Matthias Wiesmann
m.wiesmann@bionetz.ch

Hier lesen Sie die Original-Pressemitteilung:

Pressemitteilung KAGfreiland: 16. April 2009 (Zum Tag der Milch vom 18. April)

Schweizer Milch: Kühe erhalten Stromschläge

Am Samstag 18. April ist Tag der Milch. KAGfreiland, die schweizerische Nutztierschutz-Organisation, deckt auf, dass ein Grossteil der Schweizer Milch (Berg-, Regio-, Spezial- und Billigmilch) von Kühen stammt, die zur Züchtigung regelmässig Stromschläge erhalten. Rund 350'000 Milchkühe leben angebunden im Stall, über ihnen der elektrische Kuhzüchtiger, von der Branche beschönigend «Kuhtrainer« genannt. Der Bund beurteilt diesen als nicht tiergerecht. In Deutschland ist er seit 2006 verboten.

Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Schweizer Tierschutz wünschen sich 85 % der Bevölkerung ein Verbot. Nur gerade Bio-Milch wird garantiert ohne elektrischen Kuhzüchtiger hergestellt. KAGfreiland fordert die Milchbranche auf, ein Verbot des Kuhzüchtigers in den Produktionsrichtlinien festzuschreiben oder eine Laufstallpflicht für ihre Milchställe zu verlangen.

ganze Pressemitteilung sowie Dossier mit Fakten, Zitaten und Bildern unter
http://www.kagfreiland.ch/c_tierhaltung/kuhzuechtiger_TdM09.shtml

Weitere Auskünfte erteilt:
- Denise Marty, Tierhaltung KAGfreiland: 071 222 18 18 / 078 901 69 60

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