- 11. November 2015
- Nachrichten | Branchen-News
Naturnahe und echte Naturkosmetik erzielen weltweit über 30 Mrd. US-Dollar Umsatz. In manchen Ländern ist das Warensegment der Nische entwachsen. Der Schweizer Unternehmensberater Moritz Aebersold beantwortet Fragen zu Herausforderungen und Chancen für die Hersteller echter Naturkosmetik.
Herr Aebersold, Sie kennen die internationalen Märkte für Naturkosmetik sehr gut. Wo geht die Entwicklung in Europa hin, was sind die aktuellen Tendenzen in den wichtigsten Märkten?
bio-markt.info/Karin Heinze - In den beiden größten europäischen Märkten Deutschland und Frankreich ist sehr deutlich sichtbar, dass die Popularisierung von Naturkosmetik weiter zügig voranschreitet. In Frankreich rechnet man mit einem erneuten Wachstum von rund 14 Prozent. Aber auch in Deutschland ist die Umsatzentwicklung mehr als gut und dürfte dieses Jahr noch einmal zu einem beeindruckenden Zuwachs führen. Zudem wird wohl der Verdrängungskampf im LEH und den Drogeriemärkten Auswirkungen auf die Preisgestaltung von Naturkosmetik haben. Preiswerte Naturkosmetik ist mit Sicherheit positiv für die weitere Erschließung des Marktes und um mehr Verbraucher an das Sortiment heranzuführen. Allerdings sehe ich dabei auch zwei Gefahren. Zum einen könnte es schwierig werden, bei erhöhtem Druck auf die Herstellerpreise den hohen Qualitätsanspruch zu halten, denn der Wareneinsatz bei Naturkosmetik ist viel höher als bei konventionellen Produkten. Zum anderen könnte gerade kleinere Firmen Mühe haben, sich auf dem Markt zu behaupten, wenn sich das Preisniveau von Naturkosmetik-Marken an dasjenige von traditionellen Mainstream-Marken annähert. Erfreulich ist, dass dennoch weiterhin Bewegung im Markt ist und naturkosmetische Innovationen lanciert werden.
Welche Länder in Europa konnten ihrer Einschätzung nach in den vergangenen Jahren vom Konsumentenwunsch nach natürlicher Kosmetik besonders profitieren?
Deutschland und Frankreich sind hier ganz vorne dabei, wenn man Märkte mit dynamischer und mit positiver Entwicklung nennen möchte. Italien war leider in seiner Entwicklung im Bereich zertifizierter Naturkosmetik etwas verhalten, was nicht zuletzt auch an der gesamtwirtschaftlichen Situation liegen dürfte und den starken lokalen Marken mit naturnaher Ausrichtung. In England ist die Entwicklung von Naturkosmetik besonders im urbanen Umfeld weiterhin sehr stark. Der Markt wächst jedoch nicht in dem Maße wie andere europäische Kernmärkte. In der Schweiz haben wir das wachsende Phänomen des grenznahen Einkaufstourismus aufgrund bedeutender Preisdifferenzen. Das hat den Effekt einer aktuell eher rückläufigen Umsatzentwicklung im Lande, während sich die grenznahen Geschäfte in Deutschland über nicht unerhebliche zusätzliche Einnahmen freuen können. Insgesamt gesehen, würde ich die Tendenz in Europa und weltweit allerdings grundsätzlich als recht positiv bezeichnen. Deutschland und Frankreich sind dabei die Zugpferde und das hat gute Effekte auf andere europäische und internationale Märkte. Ich nehme wahr, dass, angeregt von der hervorragenden Marktentwicklung der Vorreiter in Westeuropa, sich international zunehmend auch lokale Hersteller mit Naturkosmetik im Markt zu positionieren versuchen und dabei stärker auf Qualität und Professionalität achten als früher.
Greifen die Hersteller die Wünsche der Konsumenten nach Natürlichkeit und Nachhaltigkeit genügend auf?
In den vergangenen Jahren haben die führenden Marken viel in die Beschaffung von (Biorohstoff-)Qualität und in die Produktentwicklung investiert. Die Produkte haben an Funktionalität und Effektivität gewonnen und die Sortimentsbreite und –tiefe hat enorm zugenommen. Das kommt den Wünschen der Verbraucher entgegen. Und das Schöne ist, dass bewusstes Einkaufen immer mehr Anhänger findet. Echte Naturkosmetik achtet ja auf fair gehandelte, biologische Rohstoffe, nachhaltige Herstellungsmethoden und Verpackungen. Das entspricht den Erwartungen anspruchsvoller Kunden.
Wo liegen ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für die Hersteller echter Naturkosmetik, wo die größten Chancen?
Zu den größten Herausforderungen insbesondere für KMUs gehört aus meiner Sicht der Erhalt der Produktqualität und der Innovationsrate bei zunehmenden Wettbewerb und dem sich dadurch verstärkenden Preiszerfall und bei erhöhten regulatorischen Anforderungen. Gleichzeitig wird ja auch die Profilierung und Entwicklung der Marke immer wichtiger, was mit steigenden Anforderungen an die Professionalität und die Marketingausgaben verbunden ist. Die größten Chancen sehe ich in den noch lange nicht ausgeschöpften Potenzialen und dem anhaltenden Wunsch nach nachhaltigen, natürlichen, «weltverbessernden» Produkten. Durch die Bearbeitung der Märkte von vielen neuen Anbietern und die wachsenden Mengen hochwertiger Rohstoffe für zertifizierte Naturkosmetik, ergeben sich sogar auch wieder positive Effekte für den ökologischen Landbau in den Beschaffungsmärkten.
Wie sieht es in Asien, Nord- und Südamerika aus?
In Asien haben sich vor allem Japan und Südkorea als aufstrebende Märkte für natürliche Kosmetik weiter positiv entwickelt. Auch wenn unter Naturkosmetik mehrheitlich noch naturidentische Kosmetik verstanden wird, ist jedoch ein allgemeiner Verbrauchertrend zu mehr Nachhaltigkeit und der Wunsch nach natürlichen Produkten zu spüren. In den USA entwickelt sich der Absatz weiterhin gut, doch erhält der wichtige Vertriebskanal der Bio-Supermärkte zunehmend Konkurrenz durch die Erweiterung der Bio-Lebensmittelangebote der klassischen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels. Dies dürfte auch zu einer Verlangsamung der bisherigen dynamischen Erweiterung der Bio-Supermärkte Ketten (z.B. Whole Foods) führen und könnte somit auch negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Naturkosmetikmarktes haben. In Lateinamerika ist Brasilien der weitaus umsatzstärkste Markt für «grüne Kosmetik» mit großem Potenzial auch für echte Naturkosmetik. Derzeit tendiert der Markt aufgrund der problematischen wirtschaftlichen Lage allerdings eher zu Stagnation.
Im internationalen Kontext wird der Begriff Naturkosmetik etwas anders definiert als in den wichtigen europäischen Märkten. Eine ISO-Norm soll einen internationalen Mindeststandard schaffen. Ist das eine Lösung oder eine Gefahr für die Weiterentwicklung des Marktes?
ISO 16128 wird für den europäischen Naturkosmetikmarkt aus meiner Sicht unmittelbar keine direkten Auswirkung haben. Mittelfristig sehe ich sogar die Möglichkeit, dass durch eine ISO-Norm die Diskussion um eine gesetzliche europäische Naturkosmetik-Richtlinie oder klare Definitionen unter Art 20 betreffend Naturkosmetik Claims wieder angestoßen wird. Das halte ich für wünschenswert.
Zu Moritz Aebersold
Der Schweizer Unternehmensberater Moritz Aebersold arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Führungspositionen in der internationalen Naturkosmetik-Branche. Der Experte für Marketingstrategie und Innovation ist bestens vernetzt in den wichtigsten Märkten in Asien, Nord- und Südamerika sowie in Europa.