- 17. November 2015
- Nachrichten | Branchen-News
Auffallend viele junge Leute haben den diesjährigen Slow Food Market besucht. Regionale und handwerklich hergestellte Spezialitäten sind hip – und für viele Spitzengastronome unterdessen ein Muss.
Julia Antoniou - «Der Slow Food Market ist ein Muss für Spitzengastronome geworden», dies die Worte des Foodscouts Dominik Flammer anlässlich der Pressekonferenz des Zürcher Genussmarkts, der heuer vom 13. bis 15. November stattfand. In seiner kurzen Ansprache in der Messe Zürich liess der Buchautor von «Das kulinarische Erbe der Alpen» einen weiteren markigen Spruch fallen: «Unsere Spitzengastronomie ist zur regionalen Vielfalt verdammt». Dass diese Verdammnis ausschliesslich Segen und kein Fluch ist, demonstrierten acht wohlbekannte Gastronom/-innen an ihren Kochshows im Rahmenprogramm des Genussmarkts, darunter Nenad Mlinarevic vom Parkhotel Vitznau. Für Sonntag kündigte Flammer gar den Besuch des Sternekochs Andrea Caminada (19 Gault&Millau) mitsamt seiner Entourage an. Womit punkto Relevanz des Slow Food Markets alles gesagt sein dürfte.
24 Kleinproduzenten
Seitens der Aussteller war das Interesse am Slow Food Market im Vorfeld sehr gross. «Wir waren schon im August ausgebucht», war von Raymond Marti vom Convivium Zürich zu erfahren. Ein Umstand, der es Slow Food möglich macht, bei den Austellern eine passende Auswahl zu treffen und seine Qualitätskriterien vollumfänglich durchzusetzen. Dies kommt wiederum den Besucher/-innen zugute: Sie dürfen sich darauf verlassen, dass die dargebotenen Produkte von hoher Qualität sind. Eine grosse Aufwertung hat die diesjährige Ausgabe durch den gemeinsamen Auftritt der Bio- und ProSpezieRara-Produzent/-innen erfahren, ebenfalls ein Verdienst von Dominik Flammer. Dank seiner Initiative und guten Partnerschaften – etwa mit Bio Suisse – verhalf er 24 Kleinproduzenten zu einer Messepräsenz.
Viele Youngsters
Auch an den Besucherzahlen zeigt sich, dass die Botschaft der Regionalität und die Besinnung auf sorgfältig und handwerklich hergestellte Lebensmittel definitiv angekommen ist. Wie Messeleiter Peter Plan bekannt gab, seien die Besucherzahlen stetig am Steigen. Und ebenso erfreulich: Die Messebesucher/-innen würden immer jünger. Tatsächlich spottete das Auge auffallend viele junge Leute im Messepublikum – vom Girlie mit rosa Haaren über den bärtigen Hipster bis hin zum stylischen jungen Herrn im Anzug.
1400 Produkte und ihre Geschichten
Wie will man in der Berichterstattung einem Markt mit über 1400 Produkten gerecht werden? Man kann systematisch vorgehen oder sich einfach von einem Stand zum anderen treiben lassen. Hiermit eine Einladung zu einem keinerlei repräsentativen, doch anregenden Messebummel. Das Spannende daran sind die Geschichten, die sich hinter den Produkten verbergen. Diesen nachzugehen, macht neben dem Degustieren den Reiz des Slow Food Markets aus. Und es löst das Versprechen der Organisatoren ein, Produzenten und Konsumenten zusammenzubringen.
Rohrohroh
Rohrohroh steht auf dem Namensschildchen von Cédric Wüthrich von der Berner Ölmühle. Was er am Stand verkauft, lebt er auch selbst. Nämlich den Foodtrend «raw», der gerade im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde ist. Seit Jahren Vegetarier habe er im Selbstversuch ein halbes Jahr nur Rohkost gegessen und sei dabei geblieben, ist vom quirligen Berner zu erfahren. An seinem Stand verkauft Wüthrich z.B. Hanf- oder Kokosöl (unter 37 Grad gepresst), Cashew- und Tahinimuse (unter 42 Grad steinvermahlen) und süsse und pikante Crackers (unter 40 Grad getrocknet). Alles ist bei niedrigen Temperaturen verarbeitet, erhalte die Enzyme und stärke somit das Immunsystem. Man mag dies glauben oder nicht – Tatsache ist, dass die «raw»-Produkte, die aus den Trocknungsofen und Steinmühlen herauskommen, unsere Geschmacksknospen auf bisher unbekannte Art und Weise kitzeln – und das ist schon für sich allein ein Plus. Dass die geschälten Hanfsamen aus der Berner Ölmühle beipielsweise Müesli mit Proteinen anreichern, nimmt die Standbesucherin gerne mit auf den Weg.
www.rohrohroh.ch
Knackfrisches Gemüse und Schweizer Ingwer
Randen – rot, gelb, pink mit weisser Schale oder weiss-rot geringelt wie eine Baumscheibe. Kale – von mittelgrün, dunkelgrün bis violett. Kürbisse – bestimmt in zehn Sorten. Der Gemüsestand von Bioland ist eine Augenweide und ein Ort, der mit Spezialitäten lockt. Es ist der Agrarproduktion aus Steinmaur zu danken, dass es am Slow Food Market seit zwei Jahren frisches Gemüse gibt; und es wird hoffentlich so bleiben. «Eigentlich wollte ich ursprünglich gar nicht mitmachen», lacht der Zürcher Bio-Gemüsebauer Stephan Müller. Die Kochbuchautorin Meret Bissegger habe ihn überredet, weil sie seine Produkte für ihre Workshops gebraucht habe. Der Messeauftritt macht dem vielseitigen und erfolgreichen Bio-Unternehmer, der sich u.a. bei Bio Suisse engagiert, aber offensichtlich Freude. Er lobt die Initiative von Dominik Flammer, der auch kleinen Produzenten mit einem gemeinsamen Biostand die Möglichkeit zu einem Auftritt gewährt. Für die weiteren Messe-Tage will er gleich noch ein paar Kisten mehr vom Schweizer Ingwer anliefern, den er als erster auf dem Markt gebracht hat. Er gehe weg wie frische Semmeln.
www.mueller-steinmaur.ch
Wienerli ohne E-Stoffe
An einem nächsten Stand gibt’s Wienerli zu versuchen. Das Wursträdchen kommt recht blass daher, aber mmmh! – es kann seinen Mangel an Farbe durch Geschmack mehr als kompensieren. Ganz ohne Nitritsalz und ohne E-Nummern verwurstet, der Wurstschlauch mit Fleisch vom Wollschwein und Angus-Rind gefüllt, deklassiert es alle Wienerli vom Supermarkt zu Würstchen. «Wir haben zwei Jahre getüftelt», strahlt Andy Lieberherr von Erlebnis Agrovision, der seine Rezeptur ebenso wenig preisgeben will wie die Appenzeller das Rezept ihrer Kräutersulz. Aber auch bei den Broten, die aus seiner Bio-Holzofen-Bäckerei Burgrain kommen, wird kräftig getüftelt. Solcher Erfindergeist wirkt sich nicht nur positiv auf die Produkte aus, sie mündet auch in neue Geschäftsideen: Auf www.fuuschtbrot.ch vermarktet der Luzerner Betrieb seine Biospezialitäten auch online und bietet mit seinem Herstellungsbetrieb zudem jungen Menschen «eine Brücke in die Arbeitswelt».
www.agrovision.ch
Terroir-Kaffee von Demeter
Interessante Einblicke in die Produktion gewähren die Kaffee-Cracks von Henauer Kaffee. «Die Zeit für Terroir-Kaffes ist gekommen», erklärt ein Mitarbeitender. Die Filterkaffeewelle und der Kult um die Baristi hätten das Interesse bei den Konsument/-innen geweckt, die Geschmacksvielfalt des Kaffees zu entdecken. Henauer Kaffee, der vor allem den Gastronomie-Markt ansprechen will, ortet ein grosses Interesse an nachhaltig produziertem Kaffee. Nachdem drei Viertel der Produktion seines mexikanischen Demeter-Kaffees wegen Kaffeerost ausgefallen sind, ist das Unternehmen mit dem temperamentvollen Brasilianer Camocim am Stand präsent. Und Henauer will nebst den konventionellen Produkten auf jeden Fall weiter auf Demeter und die regionale Geschmacksvielfalt setzen. «Kaffeekenner/-innen wollen Transparenz und Terroir», ist das Team von Henauer überzeugt.
www.henauer-kaffee.ch
Mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau
Seine Bio-Knospe-Tees bietet Lukas Studer entweder in klassischen Schachteln oder in hübschen Holzboxen mit eingebrannten Traditionsmotiven an. Wobei die gute Idee schon einen Nachahmer gefunden habe, wie Studer schmunzelnd erzählt. Swisstea.ch setzt auf eine Qualitätsstrategie und verkauft seine Mischungen direkt über Dorfläden der Umgebung und in den Spezialitätenabteilungen grösserer Coop-Filialen. Die Tees tragen die hehren Namen von bekannten Schweizer Gipfeln. Das ist Marketing mit Realitätsbezug. Tatsächlich wachsen die meisten der Teekräuter mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau heran. Geschmacklich dürfte dies keinen Einfluss haben, aber schön zu wissen ist es trotzdem.
www.swisstea.ch