- 05. April 2011
- Nachrichten | Branchen-News
Das beste Fischlabel: max. 1x Fisch im Monat
Der Konsum von Fisch und Meeresfrüchten aus nachhaltigem Fischfang sowie art- und umweltgerechter Zucht nimmt stark zu. Dies belegen Erfolgmeldungen des WWF, verbunden mit der Aufforderung zum Kauf von Produkten mit dem MSC-Label, deren Vermarktung WWF aktiv fördert.
Auf den ersten Blick ist dies erfreulich jedenfalls wenn man davon ausgehen könnte, dass gleichzeitig der Fischkonsum allgemein abnimmt und die natürlichen Bestände effektiv entlastet werden. Dies trifft aber nicht zu, zumal auch VertreterInnen der Ernährungs- und Gesundheitsberatung den mehrmals wöchentlichen Fischkonsum weiterhin ausdrücklich empfehlen.
Trägt also Umsatzwachstum der Nachhaltigkeitslabels zu einer nachhaltigen Bedrohung der Fischbestände mit bei, da die KonsumentInnen mit gutem Gewissen immer herzhafter bei den Fischhäppchen zulangen (wenn auch derzeit nicht unbedingt an der Sushi-Bar)?
Wir haben Heinzpeter Studer, Fachstellenleiter von fair-fish, gebeten, dieser Fragestellung nach zu gehen und die Hintergründe aus einer ganzheitlichen (d.h. nicht nur Label-bezogenen) Sichtweise zu beleuchten.
Der Konsum von Fisch aus zertifiziert nachhaltigen Fischereien und Fischzuchten nimmt zu. Ist das eine gute Nachricht? Jein.
In seinem März-Newsletter zitierte das WWF-Fischfang-Label MSC mit Stolz zwei Studien aus Grossbritannien und Holland: Die Verbraucherausgaben für nachhaltig produzierten Fisch sind 50- bis 150-mal so stark gestiegen wie die Haushaltausgaben insgesamt.
Stetig zunehmender Fischkonsum
Dass Angebot und Nachfrage nach Label-Fischen zunehmen, wäre vor allem dann zu begrüssen, wenn dies auf Kosten der industriell produzierten Fische ginge. Leider ist dies nicht der Fall; der Konsum von Fischen und Meeresfrüchten nimmt im Gegenteil stetig zu: Weil die Menschheit immer zahlreicher wird – und weil der Durchschnittsmensch immer mehr Fisch ist:, sondern auch auf einen zunehmenden Fischkonsum pro Mensch:
Jahr | Fisch pro Mensch und Jahr* |
Weltbevölkerung** |
1961 | 9.0 kg | 3.1 Mia |
1968 | 10.7 kg | 3.4 Mia |
1978 | 11.6 kg | 4.3 Mia |
1988 | 13.4 kg | 5.9 Mia |
1998 | 15.5 kg | 5.9 Mia |
2008 | 17.1 kg | 6.7 Mia |
* FAO ** Google Public Data
Ungebremste Überfischung
Die neusten Zahlen der UNO-Ernährungsorganisation FAO für 2008 zeigen, dass alle bisherigen Versprechungen für eine «nachhaltige» Fischerei nichts genützt haben:
- 32% der Fischbestände der Welt sind überfischt (2007 waren es «erst» 28%, 1990: 19%)
- 53% der Fischbestände werden bis an die Grenzen ihrer Reproduktion genutzt (2008: 52%, 1990: 50%)
- nur 15% der Bestände könnten noch mehr genutzt werden als heute (2008 waren es noch 20%, 1990: 31%)
Solange im Durchschnitt jeder Mensch 17 kg Fisch pro Jahr isst, kann es nur noch schlimmer kommen.
Eine Schätzung von fair-fish, die von Meeresbiologen bestätigt wird, kommt zum Schluss: Höchstens einmal Fisch im Monat – Meer gibt's nicht her.
Links dazu:
http://www.fair-fish.ch/wissen/gesundheit
http://www.fair-fish.ch/blog/archive/2010/09/12/das-beste-label-nur-einmal-pro-monat-fisch.html
http://www.tier-im-fokus.ch/interview/studer
Fischlabels sind erst er zweite Schritt
Labels für nachhaltige Fischerei und Fischzucht können eine gute Orientierungshilfe für besorgte Konsument/innen sein – aber nicht, wenn der Fischkonsum weiterhin viel zu hoch ist. Wer auf Labels achtet und dabei mehr als einmal im Monat Fisch isst, lügt sich und andern in die eigenen Tasche. Labels sind dann einfach der «Heiligenschein» für «grüne» Konsument/innen.
Kein noch so strenges Label kann Fische herbeizaubern, die es nicht mehr gibt, weil sie schon gegessen worden sind.
Noch kritischer beurteilt fair-fish die Fischlisten, wie sie von verschiedenen Umweltorganisationen periodisch herausgegeben werden. Einmal abgesehen davon, dass diese Listen den Einkaufsalltag wesentlich komplizierter machen als Labels, sind sie auch geeignet, in die Irre zu führen. Wenn ich und viele andere statt des gefährdeten Blauflossenthuns künftig Gelbflossenthun wähle, droht auch den Beständen diese Art die Überfsichung. Dies nur als Beispiel; gezielter Konsum kann grundsätzlich für jede Fischart zum Problem werden.
Am einfachsten für die Konsument/innen und am wirkungsvollsten für die Fischbestände ist die Regel: maximal 1x Fisch im Monat.
Und wer denkt, Zuchtfische seien von dieser Regel ausgenommen, hat es wahrscheinlich einfach noch nicht gehört: Die meisten Zuchtfische, die wir essen, werden mit Fischmehl und Fischöl gefüttert, das meist von Fischfängen im Meer stammt. Pro Kilo Zuchtfisch werden werden mindestens drei Kilo Meerfisch verfüttert – ganz klar kenne Alternative.
Link dazu: http://www.fair-fish.ch/wissen/zucht/fischfutter.html
Fisch wird immer teurer – gut so
Das führende Branchenblatt Seafood International (IntraFish) vermeldete im Dezember 2010 den Beginn der «neuen Aera höherer Preise für Fisch und Meeresfrüchte». Es stützte sich dabei auf Angaben von Brancheninsidern.
Verarbeiter und Händler sehen sich rund um den Globus mit Rekordpreisen konfrontiert, und allmählich kommen die auch bei den Endverbrauchern an. Fischpreise gingen immer rauf und runter, je nach Saison, Region und Fischart. Doch diesmal scheint es eine globale, für alle Sektoren gültige und beständige Entwicklung zu sein. Seafood International: «Die schlechteste Nachricht ist die Aussage von Analysten, die aktuellen Preisspitzen seien nicht zyklisch, sondern das Resultat eines wachsenden Konsums bei beschränktem Angebot, eine Situation, welche sich nicht mehr ändern werde.»
Die Knappheit des Angebots wird laut den Insidern zusätzlich verschärft durch die zunehmende Bedeutung nachhaltiger Fischerei. Paradox dabei sei, dass man Druck auf den Handel mache, mehr nachhaltigen Seafood anzubieten, während gerade die Produkte aus nachhaltiger Fischerei besonders knapp seien.
Link dazu:
http://www.fair-fish.ch/blog/archive/2010/12/12/fisch-wird-immer-teurer-gut-so.html
Werden Marktkräfte die Fischbestände retten?
Sind bleibend hohe Fischpreise wirklich eine so schlechte Nachricht? Schlecht insofern, als dies die in den Meeren bereits angerichtete Zerstörung spiegelt. Gut dagegen ist immerhin, dass der Markt, wenn auch mit arger Verspätung, zu reagieren beginnt. Wenn der Preis für Fische steigt, wird der Konsum sinken.
Die Frage ist freilich, ob diese Dynamik früh genug einsetzt, um erschöpften Fischbeständen noch eine Chance zur Erholung zu bieten. Und ob ärmere Länder weiterhin ihren Fisch (und andere Nahrungsmittel) weitgehend exportieren, um die eigene Oberschicht und internationale Konzerne zu mästen – oder ob die Menschheit einen Weg findet, knappe Güter gerecht zu teilen.
Billo Heinzpeter Studer (info@fair-fish.ch)