- 29. August 2011
- Nachrichten | Branchen-News
Bio kommt nicht von heute auf morgen – und trotzdem mag es überraschen, dass Bio Suisse und das Label Knospe in diesem September schon 30 Jahre alt werden. Einer, der die Bio-Idee mit der Muttermilch aufgesogen hat, ist der heutige Bio Suisse-Geschäftsführer Daniel Bärtschi. Sein Vater war Gründungsmitglied der damaligen Vereinigung schweizerischer Bio-Landbau-Organisationen (VSBLO). Schon die Bezeichnung zeigt: Sämtliche kantonalen Bio-Organisationen sind im Dachverband vertreten, ebenso alle namhaften Verbände von Demeter über Biofarm und Progana. "Diese Einigkeit ist weltweit einmalig und hat dazu beigetragen, dass wir heute ein wichtiger Akteur in der schweizerischen Landwirtschaft und auch in der Landwirtschaftspolitik sind", ist Bärtschi überzeugt.
Coop als starker Partner
Ein zweiter Motor war der Einstieg von Coop und das Bekenntnis des Grossverteilers, bei Bio auf die Knospe zu setzen. Das bringt nicht nur Absatz für die landwirtschaftlichen Produkte und ein gutes Image in weiten Bevölkerungskreisen, sondern beschert Bio Suisse auch Lizenzeinnahmen. Diese machten 2010 mit 5,7 Millionen Franken über die Hälfte des Umsatzes des Bio-Dachverbands aus. Wie hoch die Beiträge von Coop sind, des mit Abstand wichtigsten Lizenznehmers, kommuniziert Bio Suisse nicht. Doch von einer gefährlichen Abhängigkeit will Bärtschi nichts wissen: "Coop hat immer wieder bewiesen, dass sie uns als Partnerin auf gleicher Augenhöhe wahrnimmt." Und zu Kompromissen bei den Richtlinien sei man nicht bereit. Zudem kommen zu den heute 700 Lizenznehmern laufend neue dazu. 2010 wuchs der Umsatz mit Bioprodukten in der Schweiz um sechs Prozent, für 2011 werden vier bis fünf Prozent erwartet. 94 Prozent der Schweizer Bioprodukte ist Knospe-zertifizierte Ware, der Rest ist Bio nach Bundesverordnung. Auch Migros setzt bei inländischen Bio-Lebensmitteln auf Knospe-Rohstoffe – allerdings mit einer eigenen Labelstrategie und somit ohne Lizenzzahlungen an Bio Suisse.
"Bio ist gut für die Umwelt"
Wenn die Zahl der Bio-Bauern über die Jahre zurückgeht, widerspiegelt das den Trend in der Landwirtschaft generell – auch Bio-Höfe werden immer grösser. Erstmals stiegen aber 2010 die Neuanmeldungen von Höfen bei Biosuisse wieder an und übertrafen die Kündigungen. Und es werden weitere Biobauern gesucht. Bei Gemüse und Brotgetreide etwa werde noch immer zu viel importiert, obwohl hierzulande insbesondere in der Romandie der Anbau gut möglich wäre, bedauert Bärtschi. Beim Handel ist er überzeugt, dass noch etliche mittelständische Lebensmittelverarbeiter das Potenzial der Knospe entdecken werden: Der Lebensmittelmarkt ist gesättigt, gefragt sind Spezialitäten – wie Bio eben eine ist. Mehr Absatz ist für Bärtschi in drei Sparten denkbar: Erstens in der Gastronomie, auf welche die Hälfte des Fleischkonsums entfällt. Allerdings kämpfen zwei von drei Beizern ums Überleben und sparen deshalb unter anderem auch beim Lebensmitteleinkauf. Zweitens boomt Convenience-Essen. Gerade Bürolisten sind häufig sensibilisiert für Ethik und Gesundheit. Sie verfügen zudem über das nötige Kleingeld, um etwas mehr zu bezahlen, wenn der Zmittag dafür nicht nur schnell ist, sondern auch ökologisch und tierfreundlich produziert wurde. Drittens könnte Bio noch vermehrt exportiert werden, erste Milchspezialitäten machen es vor. Bärtschi: "Wir wollen nicht wachsen um des Wachstums willen. Aber jede zusätzliche Hektare, die auf Bio-Landwirtschaft umgestellt wird, ist ein Gewinn für die Umwelt."
Von der Kontrolle zur Kommunikation
Während Daniel Bärtschi im Jahr 2010 ein relativ gut ausgerüstetes Verbandsschiff übernehmen konnte, gestaltete sich der Einstieg von Christof Dietler 1995 einiges chaotischer: "Damals war das kleine Team von Bio Suisse vor allem für die Qualitätssicherung und die Akkreditierung besorgt. Wir mussten praktisch aus dem Nichts die Ressourcen in Sachen Marketing aus dem Boden stampfen, um mit dem Detailhandel auf Augenhöhe zu bleiben", meint der Agronom, der 2003 die Geschäftsführung abgab und heute Mitinhaber eines Beratungsbüros mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit ist. In seine Zeit bei Bio Suisse fiel insbesondere die Ausgliederung der Zertifizierungsorganisation in eine eigenständige Firma – die heutige Bio Inspecta AG. Damit begegnete man Vorwürfen der Interessenkollision, da Lizenzgeber und Zertifizierer unter demselben Dach angesiedelt waren. Auch der Ausbau der Kommunikation, der Ende der Neunzigerjahre erfolgte, absorbierte beträchtliche Ressourcen von Bio Suisse – was sich wiederum nur dank der Lizenzgebühren von Verarbeitern und Handel bewerkstelligen liess.
Basisdemokratie als Herausforderung
Diese Zusammenarbeit sei stets eine Gratwanderung, betont Christof Dietler: "Man muss zwar mit einem der beiden Grossverteiler eng kooperieren, darf es sich aber gleichzeitig mit dem anderen nicht verscherzen." Bio Suisse sei dies gut gelungen – gelegentliche «kleine Eiszeiten» gelte es eben auszuhalten. Ohnehin biete die hiesige Konstellation im Lebensmittelhandel international gesehen eine hervorragende Ausgangslage für Bio: "Migros und Coop sind Genossenschaften und nicht nur auf Profit aus. Sie engagieren sich beide langfristig und gemeinsam mit den Bauern für Projekte und entwickeln Märkte wie Bio, Mutterkuhhaltung oder Integrierte Produktion."
Dennoch sähen sich auch die Bio-Bauern heute einem enormen Anpassungsdruck durch Importe ausgesetzt, müssten am Marketing arbeiten und zugleich ihre Kosten in den Griff bekommen, beschreibt Dietler die aktuelle Situation. Und wie soll sich Bio Suisse angesichts dieser Herausforderungen verhalten? Die Jubilarin müsse weiterhin marktorientiertes Denken mit der Weiterentwicklung der Werte des Biolandbaus kombinieren. Dafür, dass das Marktdenken nicht überhand nehme, würden auch in Zukunft die Mitglieder sorgen, ist Dietler überzeugt: "Eine basisdemokratische Organisation ist zwar anstrengend – aber das macht sie auch attraktiv und bringt viele Vorteile."
Andere Labels holen auf
Herausfordernd ist zudem die Tatsache, dass vermehrt auch andere Labels und Produktionsprogramme die Ökologie hochhalten. Jüngstes Beispiel ist die Lancierung der Wiesenmilch durch IP-Suisse. Bärtschi reagiert gelassen und freut sich zugleich über die Mitbewerber: "Wir begrüssen jede Landbauform, die Grundsätze des Biolandbaus aufnimmt und sehen IP daher nicht als Konkurrenz. Unsere Richtlinien gehören zu den weltweit strengsten und sind anspruchsvoll." So sei der Biolandbau bei Bio Suisse seit Anbeginn nachhaltig und als Gesamtsystem konzipiert, das die natürlichen Kreisläufe berücksichtige. Ein interner Nachhaltigkeitsbericht diene dem Schweizer Dachverband nun als Grundlage, die Biolandwirtschaft weiterzuentwickeln.
Aktionsplan Bio als Katapult
Denn obwohl Bio Suisse konsolidiert scheint, stehen bleiben will man nicht. Ein aktuelles Projekt sind etwa "faire Handelsbeziehungen", die seit kurzem mit einem Paragrafen in den Richtlinien festgeschrieben sind. Verlangt wird, dass die Partner entlang der ganzen Wertschöpfungskette ihre Anliegen und Bedürfnisse offen miteinander diskutieren. Weiter will Bio Suisse mit Züchtungsprojekten besonders resistentes Bio-Saatgut erzeugen, um die Ausfälle klein zu halten. Und auch die Themen Klima und Biodiversität werden weiterentwickelt. Dazu sucht Bio Suisse Partner – und würde sich zum runden Geburtstag auch etwas mehr Unterstützung vom Staat wünschen, so Bärtschi: "Der Bund könnte beispielsweise mit einem Aktionsplan Bio Überbrückungshilfe für jene Umsteller bieten, die in den zwei Umstellungsjahren zusätzliche Beratung benötigen." Ein solcher Schub von offizieller Seite würde klare Zeichen setzen, Zauderer überzeugen und dafür sorgen, dass man dem Bioland Schweiz einen weiteren Schritt näher kommt.