IP/Terra Suisse ist von der Bezeichnung Etikettenschwindel für Wiesenmilch verständlicherweise wenig begeistert. Korrigierend werden wir auf folgendes hingewiesen:

Wiesenfutter ist Gras. Dieses Gras kann auf einer Weide, frisch gemäht oder in getrockneter oder silierter Form vorliegen. Dann sprechen wir von Wiesenfutter. 75% der Ration besteht bei der TerraSuisse Milch aus betriebseigenem Wiesenfutter

Was ist Raufutter? In den BioSuisse-Fütterungsrichtlinien sind darunter folgende Futterkomponenten aufgelistet:

Verfüttertes Stroh und verfütterte Streue; Futter von Dauer- und Kunstwiesen frisch, siliert oder getrocknet (Herkunft Schweiz und direkte Nachbarländer), Ackerkulturen, bei welchen die ganze Pflanze geerntet wird; frisch, siliert oder getrocknet; Zuckerrübenschnitzel; Futterrüben unverarbeitet; Kartoffeln unverarbeitet, Abgang aus Obst-, Früchte- und Gemüseverarbeitung (Äpfel, Trauben, Karotten, Randen, etc.); Biertreber (Malztreber): mit InfoXgen-Bestätigung; Spelzen von Dinkel, Gerste, Hafer, Reis; Schalen von Sojabohnen, Kakaobohnen und Hirsekörnern (Aufzählung nach Anhang 3 der Bio Suisse-Richtlinien,

Silomais ist - beispielsweise - Raufutter, aber nicht zugelassen für Wiesenmilch. Zudem muss bei IP-SUISSE das Wiesenfutter zu 75% auf dem Betrieb hergestellt werden. Der Satz im bionetz.ch-Bericht: „Weil auch die Migros-Milchlieferanten nach Knosperichtlinien produzieren, wäre gleich 90% Wiese garantiert.“ sei deshalb falsch, da Wiesenfutter nicht gleich Raufutter ist.

Angesichts des Vieh-Speisezettels von Bio Suisse sollte – so die Kritik - Migros und IP-SUISSE nicht Etikettenschwindel vorgeworfen, sondern dafür gesorgt werden, dass ökologischer Unfug unter dem Knospelabel nicht mehr tolerierbar ist.

So weit die Korrektur.

Die Moral von der Geschicht?

1. Was ist richtig und was ist falsch?

Am 13. Februar schrieben wir: „Eine Kuh frisst Gras. Das weiss (fast) jedes Kind – man sieht es ja auch, wenn man über Land geht. Für die meisten unsichtbar bleibt, was sonst noch an Kraftfutter in die Futterkrippe gelangt. Und weil auf Biohöfen mittlerweile alles Futter „bio“ sein muss und in der Schweiz zu wenig Einweiss in Bioqualität produziert wird, kommt es aus Brasilien.“

Man könnte diese Zeilen Kritik ökologischen Unfugs nennen. Wir bemängelten, in den Reihen von Bio Suisse sei doch schon längst die Alternative formuliert worden: „Vollgas oder Vollgras“ (Eric Meili). Man solle die Besetzung dieses Martksegments nicht einfach IP Suisse überlassen, fanden wir. (Daraus kann man unschwer eine Würdigung der Grasmilch-Initiative von IP Suisse lesen.)

Das blieb nicht ohne „Rückmeldung“ von Bio-Seite. Um das Bild zurecht zu rücken schrieben wir später: „Bezüglich Milch und Fleisch "aus Gras" sind die Knospe-Bauern schon länger führend. Der Kraftfutteranteil für Wiederkäuer beträgt höchstens 10 Prozent.“ (Nicht korrekt, wie wir heute konstatieren.)

Auch über Kraftfutter-Fütterung und -Import schrieben wir. Da meldete sich der Bauernverband korrigierend zu Wort.

Jedenfalls sind wir mittlerweile sensibilisiert: es gibt Kraftfutter und Gras (auch in getrockneter oder silierter Form), dazwischen ein Menü, in welchem diverse Produkte vorkommen, die zwar zum Raufutter zählen, aber nicht zu Gras, Heu oder Grassilage. Vieles davon kann dann noch selbst angebaut sein, bio oder konventionell (IP), zugeführt oder gar importiert. Für einen Überblick würde eine dreidimensionale Matrix nicht reichen.

Daher kommt es zu unterschiedlichen Bildern eines Sachverhalts - nicht primär aufgrund falsch wiedergegebener Fakten (obwohl uns das angesichts der Komplexität der Dinge auch hin und wieder vorgehalten werden kann), sondern aufgrund des Gebots: Fokussiere in der Kommunikation auf diejenigen Leistungen, bei denen Du einen Vorsprung hast. Fokussieren heisst: einen Aspekt hervorheben, andere grosszügig übergehen. Bio Suisse kommuniziert selbstverständlich die Anbaumethoden sowie die Beschränkung der Kraftfutterfütterung bei Biobauern insgesamt (Kraftfutterimport ist eher kein Thema). Der Bauernverband informiert darüber, dass der Kraftfutterimport der „konventionellen“ Bauern prozentual insgesamt klein sei (in den letzten Jahren allerdings massiv gewachsen). IP/Terra Suisse kommunizieren über den hohen Standard der Grasfütterung bei Wiesenmilch oder über Biodiversität, der von einer Gruppe von Bauern eingehalten wird (nicht über die Zusammensetzung des Futters bei IP insgesamt). So trägt jeder ein schönes Bild vor sich her. Jedes hat eine Rückseite, die u.U. weniger vorteilhaft aussieht. Richtige und falsche Bilder (im Sinne von Fakten) liegen nah beieinander und der schreibende Beobachter, bleibt zurechtgewiesen zurück, vor allem weil er der jeweiligen schönen Welt nicht gerecht geworden ist oder das Plakat fälschlicherweise von der Rückseite her angeschaut hat.

2. Was ist Etikettenschwindel?

Wer mit Shorts bekleidet wandern geht, ist kein Nacktwanderer, auch wenn er 75% nackt ist. Oder was sagt man, wenn ein T-Shirt mit „Baumwolle“ etikettiert ist und man in irgendwelchen Richtlinien entdeckt, dass ein Baumwoll-T-Shirt nur zu 75% aus Baumwolle bestehen müsse? Ich nenne das Etikettenschwindel (man kann es auch Schönfärberei oder Euphemismus nennen).

Zugegeben: Im Nahrungsmittelbereich ist sehr vieles üblich, was in anderen Bereichen als unlauter gelten würden. Man denke nur an „Nektar“. Nektar war einst der Göttertrunk, also etwas vom Edelsten. Heute läuft unter Nektar eine trinkbare Frucht-Verdünnung, die zu 50-75% aus Wasser bestehen darf. In der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung sind Methoden und Stoffe selbstverständlich, auf die KonsumentInnen von sich aus nie gekommen wären. Hätten sich Milchtrinkerinnen und Fleischesser je gedacht, dass man (IP-)Kühen deren verstorbene Kolleginnen in Pulverform zum Frass vorsetzt? Ohne BSE-Krise wäre derlei nie an die Öffentlichkeit gedrungen. (Da stellt M-Wiesenmilch tatsächlich einen qualitativen Quantensprung dar!) Die geschmackliche Umerziehung der KonsumentInnen ist so weit gediehen, dass das denaturierte Produkt als qualitativ besser empfunden wird als das natürliche (Vanillin - genannt „natürlicher Aromastoff“ - statt Vanille, Homogenisierung der Milch und Milchpulver im Joghurt statt Verzicht auf diese Massnahmen.) Man mag derlei resigniert zur Kenntnis nehmen – oder sich dagegen auflehnen, wenn wieder einmal ein neuer Begriff kreiert und mit schönen Bildern in ganzseitigen Inseraten angepriesen wird. Auf der Suche nach preislicher Differenzierung sind kreative Lösungen gefragt. Zu den kreativen Lösungen tragen Lebensmitteltechnologen wie Marketingfachleute gleichermassen bei. Die einen suchen nach Substitution (zu) teurer Rohstoffe durch billige. Die anderen versuchen, das ursprünglich einmal Normale (z.B. Milch von Kühen die v.a. Gras fressen) so hoch zu positionieren, dass eine Marge erzielt werden kann, die Margenschwund andernorts wettmacht.

Oben wurde ökologischer Unfug moniert. Es gibt ihn, auch in den "eigenen Reihen". Daneben aber auch den sozial-wirtschaftlichen Unfug einer Marktwirtschaft, in der sich die oben beschriebene „Kreativitätsspirale“ immer weiter dreht – auf Kosten von Umwelt und Menschen. Nicht mehr alle wollen da mitmachen.

Matthias Wiesmann

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