Die Presse berichtet: Der italienischen Polizei ist eine Gruppe von Biofälschern ins Netz gegangen. Die Bande soll über mehrere Jahre mehr als 700 000 Tonnen angebliche Bio-Produkte im Wert von insgesamt 220 Millionen Euro in mehrere europäische Länder verkauft haben, darunter die Schweiz.

Ein Privatradiojournalist rief mich heute an und wollte wissen: wie schlimm das für die Biobranche sei. Da muss man als erstes antworten: Fälschungen sind immer Skandale. Jeder Skandal bedeutet eine Schwächung. In den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts hätte es wohl recht viele gegeben, die gesagt hätten: haben wir ja immer gesagt. Woher wollen die denn wissen, dass das bio ist?! Allerdings dürfte das Vertrauen angesichts jahrelanger Praxis mit nur sehr seltenen Zwischenfällen heute sehr viel grösser und der Image-Schaden viel kleiner sein.

Er wollte ausserdem wissen, ob mich das überrascht habe. Nun, erwartet habe ich es selbstverständlich nicht gerade. Nur: völlige Überraschung wäre allzu blauäugig. Kann man denn erwarten, dass in einem Land, in welchem die Menschen vielerorts geradezu daran gewöhnt werden, Behörden kleinere oder grössere Streiche zu spielen, die Biobranche von solchen kulturellen Erscheinungen völlig unberührt bleiben kann?

Weshalb man denn überhaupt noch Bioprodukte aus Italien importiere – war eine weitere Frage. Eine etwas merkwürdige Frage. Verbietet man denn den gesamten Autoverkehr, wenn man einmal einen alkoholisierten Autofahrer erwischt? Ja klar, wer auf Trauben und Zitronen, Madarinen und Orangen, verschiedene Gemüsesorten, die es bei uns im Winter nicht gibt, verzichten mag, der braucht selbstverständlich keine Importe aus dem Süden. Für denjenigen, der Biobauern, denen unser Vertrauen gilt, im Süden besucht hat, stellt sich Frage aber gar nicht. Diese Bauern leben ja davon, dass wir ihre Produkte konsumieren, vom Olivenöl bis zum Hartweizen in den Teigwaren.

Wenn Presse und Radio zu grösseren Skandalisierungen anheben, muss man aber auch versuchen, die Relationen herzustellen:

In der Schweiz werden Bioprodukte im Umfang von etwa 1.8 Mrd Franken umgesetzt, etwa die Hälfte davon über Coop. Nun wurde ein Biofälscherring aufgedeckt, der Ware im Umfang von 220 Mio Euro gefälscht und in etwa 10 europäische Länder verkauft haben soll. Wenn wir davon ausgehen, dass der Grossteil der Importe über Coop verkauft und damit mit der Knospe nachzertifiziert wird, können wir annehmen, dass aufgrund der zusätzlichen Kontrollschleife ein unterdurchschnittlicher Anteil der vermuteten gefälschten Gesamtmenge in die Schweiz gekommen sein könnte, nehmen wir einmal an maximal 10 – 15 Mio und dies verteilt über mehrere Jahre. Wenn wir nun fragen, wie „betroffen“ der einzelne Konsument bzw. die einzelne Konsumentin von diesem Skandal gewesen sein könnte, dann kommen wir auf einen Anteil von 0 – 0.5% seiner / ihrer gesamten Bioeinkäufe, jenachdem, ob er/sie mehr oder weniger zu importierten Produkten greift.

Worin besteht seine Schädigung? Der/die KonsumentIn hat weder verdorbene noch vergiftete Ware gekauft. Er/sie hat vor allem zu viel bezahlt – und er /sie wurde getäuscht.

Wie gesagt: Fälschungen sind immer Skandale. Es entsteht Vertrauensverlust. Diesen kann man durch Skandalisierung ausbauen. Das wäre dann aber das Skandalgeschäft der Presse und nicht das Skandalgeschäft der Biobranche.

Matthias Wiesmann

Siehe dazu auch

Schweizer Fernsehen:"Bio Suisse zieht Konsequenzen aus Bio-Skandal"
NZZ Online

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