- 16. Dezember 2011
- Nachrichten | Branchen-News
“Vertraue, aber prüfe nach”
Eine Woche nach Aufdeckung des Bio-Skandals in Italien ist eine erste Auswertung mit Blick auf die Zukunft angebracht. Was die unmittelbaren Massnahmen seitens der Akteure der Schweizer Biobranche angeht kann festgestellt werden, dass sowohl der Grosshandel wie die Labelorganisationen und Zertifizierungsstellen die gezielte Aufarbeitung der Vorfälle professionell angehen. Gleichzeitig steht klar fest, dass die juristische Aufarbeitung der Betrugsfälle die Behörden und Vollzugsorgane noch längere Zeit beschäftigen werden und zwar weit über Italien hinaus auch in verschiedenen südosteuropäischen Ländern. Dass dabei auch die Behörden und Vollzugsabläufe selber einer kritischen Durchleuchtung bedürfen, versteht sich angesichts angeschlagener (Italien) oder seit jeher mangelhafter (alles östlich davon...) rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen von selbst.
“Dowjerai, no prowjerai!”
Das zur Situation passende angebliche Leninzitat - hier unkorrekterweise in lateinischer Schrift – wird leider seit Jahrzehnten fälschlicherweise als Gegensatz von Vertrauen und Kontrolle wieder gegeben. In Wahrheit handelt es sich auch nicht um eine originäre Aussage des Revolutionärs, dessen Leistungsbilanz bekanntlich zudem sowohl bezüglich Vertrauen wie Kontrolle bescheiden blieb. “Vertraue, aber prüfe nach!”, so die korrekte Übersetzung des uraltes russisches Sprichwort, umschreibt treffend den Handlungsbedarf angesichts des aktuellen Bio-Skandals.
Wo Licht ist, sind auch Motten....
.... ein weiterer passender Anklang an ein altes Bonmot, ausser dass es hier um die Biobranche und nicht die Liebe an sich geht. Die staatlichen, überstaatlichen und privatrechtlichen Regelwerke mit den entsprechenden Vollzugssystemen haben sich im Verlauf der vergangenen 20 Jahre massiv professionalisiert. Das globale Zertifizierungssystem für Bioprodukte ist eines der Erfolgsmodelle für einen freien Handel, der sich gleichzeitig an sozial-ökologischen Zielsetzungen ausrichtet. Als logische und erwünschte Folge ist der Biomarktes heute in weiten Teilen der Welt zu einem der wirtschaftlichen Hoffnungsträger geworden. Ebenso logisch: Die Chance auf einen höheren Absatzpreis weckt bei gewissen Menschen kriminelle Energien. Einerseits verdeutlicht dies auf drastische Weise die Notwendigkeit professioneller Regelwerke und Zertifizierungsabläufe. Gleichzeitig ist die ernüchternde Erkenntnis angebracht: Auch noch so professionelle Zertifizierungsabläufe können gezielt-kriminelle Bio-Betrugsfälle nicht gesichert zu verhindern. Umso wichtiger wird die schonungslose Aufdeckung und gerichtliche Bestrafung.
Eigenverantwortung und Verantwortung
Umwelt- und KonsumentInnen-Organisationen erwecken mit regelmässigen Labelratings den Eindruck, Orientierung im “Labelsalat” der Auszeichnungen mit Nachhaltigkeitsmehrwert zu bieten. Was dabei wenig Beachtung findet: Die komplexen Richtlinienbewertungen beruhen in erster Linie auf der Punktierung der Regelwerk-Dokumentationen. Je mehr Nachhaltigkeitsaspekte in die Richtlinien integriert sind, desto höher die Bewertung. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Je komplexer die Regelwerke, desto schwieriger und komplexer gestalter sich der praxisfähige Vollzug. Könnte es sein, dass ab einer gewissen Regeldichte der gezielte Betrug dadurch nicht mehr verhindert, sondern im Extremfall gar erleichtert wird?
Die besten Regelwerke und Vollzugsabläufe schaffen wichtige Rahmenbedinungen für einen sicheren Handel. Sie entbinden die Unternehmen aber niemals der Eigenverantwortung. Wer mit seinen Zulieferunternehmen langsfristige gute und faire Handelsbeziehungen auf der Basis klarer sozial-ökologischer Qualitätsanforderungen pflegt, sichert sich damit auch den langfristigen ökonomischen Erfolg und reduziert damit zumindest das Risiko, selber Opfer von Betrugsfällen zu werden. In diesem Sinne sei allen das alte russische Sprichwort ans Herz gelegt: Dowjerai, no prowjerai!
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