- 24. Mai 2018
- Nachrichten | Branchen-News
In der Pflanzenzüchtung wird mit neuen Gentech-Methoden gearbeitet, doch wird heiss diskutiert, ob sie auch so deklariert werden sollen, denn dann wären sie einem Zulassungsverfahren unterstellt.
Sind die sogenannten «New Plant Breeding Techniques» gefährlich? Gibt es bereits Erfahrungen damit? Darum geht’s im nachfolgenden Interview mit Dr. Angelika Hilbeck, Institut für integrative Biologie, ETH Zürich.
Frau Hilbeck, was beinhalten eigentlich diese neuen Methoden?
Diese neuen Techniken können Punktmutationen auslösen. Das sind kleinste Veränderungen auf kurzen Stücken der DNA (Erbinformation). Damit können jedoch nur Eigenschaften, die auf einem Gen kodiert sind, also simple Eigenschaften, beeinflusst werden.
Passieren Punktmutationen auch in der Natur?
Klar passieren Punktmutationen in der Natur. Veränderungen auf der DNA-Ebene sind Teil der Evolution. Der Effekt kann jedoch alles Mögliche sein: Von nichts bis zum tödlichen Desaster, bis zur Katastrophe, alles kann passieren in der Natur. Oftmals sind Mutationen aber nicht zum Vorteil eines Organismus, deshalb halten wir uns ja auch fern von mutationsauslösenden Substanzen oder Strahlen.
Die Befürworter dieser Techniken argumentieren, weil es auch in der Natur zu solchen Punktmutationen kommen könne, sei es legitim, diese Techniken anzuwenden
Bloss weil es alles Mögliche in der Natur gibt, bedeutet nicht, dass wir daraus die Erlaubnis ableiten auch alles, was möglich ist, zu tun. Es gibt zum Beispiel in der Natur Ebolaviren – daraus abzuleiten, wir dürften darum auch Ebolaviren herstellen und verbreiten, ist lächerlich. De facto gibt es die im Labor gemachten spezifischen Eigenschaftskombinationen so nicht in der Natur, sonst müssten sie ja nicht neu «erfunden» werden und könnten auch nicht als «Erfindung» patentiert werden.
Wissen wir eigentlich, was wir tun?
Einige Wissenschaftler, in der Regel in der angewandten Disziplin, weniger in der Grundlagenforschung, meinen zu verstehen wie Vererbung läuft und Genetik funktioniert. Tatsächlich verstehen wir aber diese Regeln nur sehr unzureichend. Wir verstehen nicht genau, nach welchen Gesetzmässigkeiten die gen-basierte Vererbung funktioniert. Zwar haben wir eine Idee davon, beziehungsweise wir haben uns ein Konzept «gestrickt». Das erste Konzept stammt aus den 50er Jahren und nennt sich das «zentrale Dogma». Dieser Begriff wurde ganz bewusst gewählt, und stellt noch heute die ideelle Grundlage der Gentechnologie dar. Dieses Dogma basiert jedoch auf der veralteten Vorstellung, dass Eigenschaften an die nächste Generation nur dann weitergegeben werden können, wenn sie in der DNA niedergeschrieben sind und mit dem immer gleichen Ergebnis. Also: Was dort nicht steht, wird nicht vererbt. Doch inzwischen ist bekannt, dass beispielsweise auch Prionen (Proteine) Informationen weitergeben können, die nicht auf der DNA stehen. Ausserdem können sogenannte Regulierungsmuster, die die Genfunktionen steuern, ebenfalls vererbt werden - obwohl sie nichts an der DNA ändern. Sie können völlig unterschiedliche Ausprägungen ein und desselben Stücks DNA auslösen. Das ist die noch junge Wissenschaft der «Epigenetik». Die Regeln, nach denen bestimmt wird, welche DNA-Abschnitte wann und wie zur Ausprägung kommen und welche nicht, die verstehen wir noch längst nicht gut genug, um sie als «Ingenieurskunst» umzusetzen.
Was halten Sie von den sogenannten «neuen Züchtungsmethoden im pflanzlichen Bereich»?
Schon der Name ist irreführend. Es geht darum, den Begriff «Gentechnik» zu vermeiden. Das beinhaltet schon: Sie wollen nicht, dass diese Techniken, die ganz klar auf der Gen-Ebene angesiedelt sind, unter dem Begriff Gentechnik laufen. Man will die schlechte Werbung nicht, die die Gentechnik bereits hat. Und vor allem: Man will die Regulierung nicht. Nur wenn die neuen Verfahren als Gentechnik eingestuft werden, unterliegen sie einer Risikobewertung, einem Zulassungsverfahren, einer Kennzeichnung, der Rückverfolgbarkeit und dem Monitoring. Übrigens, in der Medizin werden dieselben Techniken ganz klar und ohne jede Diskussion als Gentechnik bezeichnet.
Was wird schon gemacht? Und wer macht‘s?
Man versucht alles, was einer Punktmutation zugänglich ist. Es sind ja nur simple Eigenschaften, einfache biochemische Schritte, dafür gibt es kurze Genabschnitte. Im Wesentlichen sind es dieselben Eigenschaften, an denen man sich schon mit den alten Genscheren versucht hat. So wird mit diesen Techniken wieder versucht, Resistenzen gegen Herbizide oder Virus- und Pilzresistenzen einzubauen. Aber das meiste ist in der Versuchsphase und nur weniges ist bislang auf dem Markt - und dies vor allem in den USA. Also alles wie gehabt.
Wenn die Resultate so bescheiden sind, warum investiert die Industrie dann noch in dieses Feld?
Wegen der Patente und der Kontrolle über das Saatgut. Ob die eingesetzte Gentechnik bis heute erfolgreich war oder nicht, hängt ja vom Blickwinkel ab. Die Industrie sagt, wir haben total Erfolg: herbizid-resistente Sojabohnen, Mais und Baumwolle werden auf über 180 Millionen Hektaren weltweit angebaut. Was nicht gesagt wird ist, dass dies nur zirka 10% der gesamten Fläche darstellt, die weltweit für den Pflanzenanbau genutzt wird. Und dies nach über 25 Jahren kommerziellen Anbau dieser gentechnisch veränderten Sorten.
Gibt es Aktivitäten, die Sinn machen?
Ich hoffe, dass die Methoden in der Medizin bei Krankheiten, die nur durch ein Gen vererbt werden, die gibt es durchaus, endlich funktioniert. Wir warten ja schon seit Jahrzehnten, dass Gentherapien funktionieren. Aber auch da scheint es weitem nicht so einfach zu sein, wie man sich das vor vielen Jahren vorgestellt hat.
Und in der Landwirtschaft, gibt es da gar keine intelligenten Ziele?
Durch die Beschränkung, die diese Technik hat, weil man auf nur simple Eigenschaften einwirken kann, weil man die Gesetzmässigkeiten der Vererbung im Zusammenspiel mit der Umwelt noch viel zu wenig versteht, wird es – aus unserer Sicht – noch lange nichts Vernünftiges geben oder nur von kurzer Dauer. Die normale Züchtung erreicht die Ziele wie Standortanpassung, Krankheitsresistenz etc in der Regel schneller und effizienter, aber dafür bekommt man den Patentschutz nicht. Das ist der entscheidende Unterschied.
Wer steckt hinter den «New Plant Breeding Techniques» wie diese neuen Züchtungsmethoden auf Englisch heissen?
Dieselben, die hinter der «alten» Gentechnik stehen. Das sind die Saatgutproduzenten, die Chemieindustrie, es sind die gleichen Gentechnik-Institute, es sind die gleichen Namen. Es sind dieselben Akteure, mit der gleichen Motivation: patentieren, privatisieren, profitieren. Daran hat sich nichts geändert. Es ist derselbe Wein in neuen Schläuchen.
(Interview: Fausta Borsani)
Für eine Einstufung der neuen gentechnischen Verfahren als Gentechnik und ihrer Produkte als gentechnisch veränderte Organismen (GVO), sprechen viele rechtliche und naturwissenschaftliche Argumente. Die Kleinbauern-Vereinigung lancierte anfangs März zusammen mit den Partnerorganisationen der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) eine Petition zuhanden des Bundesrates und Parlamentes.