- 03. Juli 2019
- Nachrichten | Branchen-News
Die Pestizidthematik ist sehr aktuell, nicht zuletzt wegen den zwei heiss debattierten Volksinitiativen, die im Mai 2020 zur Abstimmung gelangen. WissenschaftlerInnen des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau FiBL meldeten sich zu Wort und forderten im Wesentlichen das, was auch die Initianten wollen.
Fausta Borsani // Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, in der Umgangssprache auch als Pestizide bezeichnet, seien in der Bevölkerung sehr umstritten, so Urs Niggli, Direktor des FiBL Schweiz. So sei es auch kein Wunder, dass der Biolandbau mit seinem direkten und indirekten Pflanzenschutz grosse Sympathien geniesse. Biobäuerinnen und -bauern wenden wirksam zahlreiche vorbeugende Massnahmen an: eine vielfältige Fruchtfolge, Mischkulturen, Buntbrachen und Hecken, Blühstreifen u.v.m. Es sind viele Massnahmen, die das Agrar-Ökosystem mit seinen Pflanzen, dem Boden und der Tiere widerstandsfähiger machen gegen Krankheiten, Unkräuter und Schädlinge. Dabei spiele die Bio-Pflanzenzüchtung eine wichtige Rolle. Ausserdem gingen BiolandwirtInnen gelassener mit Ertragsausfällen um – «und sowieso zeigt es sich nämlich, dass diese häufig überschätzt werden», so Urs Niggli.
Indirekter Pflanzenschutz im Biolandbau
Nun ist es nicht einfach so, dass Bio-LandwirtInnen bei Bedarf einfach synthetische Pestizide durch Biomittel ersetzen. Vielmehr sorgt der Biobauer zuerst für die extensive Bewirtschaftung, biologische Aufwertung und Vernetzung der Landschaft, in der sein Betrieb eingebettet ist: in vielfältigen Landschaften ist der Schädlingsbefall kleiner, weil auch die Nützlinge, also die natürlichen Gegenspieler, in Scharen darin leben. Eine herausragende Rolle spielt die Entscheidung der Biobäuerin, wo sie welche Sorten und mit welchen Kulturmassnahmen kultiviert. Als Beispiel für intelligente Kulturmassnahmen nennt die FiBL-Forscherin Claudia Daniel ein neues Baumschnittsystem, das «Centrifugal pruning», das eigentlich entwickelt wurde, um schönere Äpfel zu bekommen, aber auch die Läuse indirekt unter Kontrolle hält. Solches Wissen – es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele – sollten alle Landwirte, nicht nur die biologisch wirtschaftenden, noch viel gezielter nutzen. Die Förderung der Nützlinge ist von Kultur zu Kultur verschieden, und kann zum Beispiel bei Kohlpflanzungen ein Blühstreifen am Rand des Feldes oder Kornblumen als sogenannte «Beipflanzen» mitten drin sein.
Direkter Pflanzenschutz im Biolandbau
Gegen bereits auftretende Schädlinge und Krankheiten setzt der Biolandbau schliesslich sogenannte «Biocontrol-Organismen» und Biopestizide ein. Gegen die Kohleule, einen Schmetterling, der als Schädling auftritt, kann man entweder mit Bacillus thuringiensis (Bt), einem Biocontrol-Bakterium, oder mit Spinosad, einem Bioinsektizid, vorgehen. Der Vorteil von Bt: es wirkt nur gegen die Kohleule und lässt die Nützlinge leben. Spinosad hingegen macht auch diesen den Garaus und dadurch weitere (teure) Behandlungen nötig. Fazit von Claudia Daniel: «Für erfolgreichen Biopflanzenschutz braucht es Vernetzung!». Und dies einerseits unter WissenschaftlerInnen, BeraterInnen und LandwirtInnen. Andererseits aber auch unter allen Bäuerinnen und Bauern eines Gebietes, denn invasive und sehr mobile Schädlinge, wie zum Beispiel die Kirschessigfliege, machen nicht am eigenen Gartenzaun halt. Dafür aber würden heute die nötigen agrarpolitischen Anreizsysteme fehlen, so Claudia Daniel.
Szenarium 100% Biofläche
Bei einer Umwandlung der ganzen landwirtschaftlichen Fläche auf Bio ergäben sich laut Lucius Tamm vom FiBL folgende positive Auswirkungen: Es würden keine chemisch-synthetischen Pestizide mehr gebraucht, inklusive keine Herbizide, also würde man diese (nach einiger Zeit) auch nicht mehr in den Gewässern finden. Die chemisch-synthetischen Pestizide würden von Biocontrol-Verfahren abgelöst. Lucius Tamm räumte allerdings ein, dass, «Kupfer, Paraffinöl, Pyrethrin und Spinosin, obwohl natürlichen Ursprungs, problematisch sind und eine Baustelle blieben». Deren weitere Reduktion oder Ersatz sei ein vordringliches Ziel in der Forschung für den nachhaltigen Landbau.
>> Lesen Sie hier das FiBL-Fazit zu den Pestiziden
Kommentar
Die ForscherInnen vom FiBL legten eindrücklich dar, was es für eine pestizidfreie Landwirschaft unbedingt bräuchte: ökowirksame agrarpolitische Anreizsysteme, unabhängige Beratung, weitere Forschung, gute Vernetzung und Bildung. Das sind genau die gleichen Ziele, welche auch die Trinkwasser - und in kleinerem Umfang auch die Pestizidverbots-Initiative verfolgen. Obwohl Urs Niggli einräumte, dass der Nationalrat mit der Ablehnung eines Gegenvorschlages zu den Initiativen eine wichtige Chance verpasst hätte, bezogen die ForscherInnen politisch keine Stellung: schon auf der Einladung hiess es, man sei losgelöst von einem Ja oder Nein zu den Initiativen.
Jede und jeder durfte selbst anhand des Dargelegten zum Schluss kommen, dass eine Annahme beider Initiativen ein wichtiger Etappensieg zu einer wirklich nachhaltigen Schweizer Landwirtschaft wäre.