Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, ist Bio-Bauer und nimmt Stellung zu den Äusserungen von Urs Niggli (FiBL) in seinem Interview in der renommierten deutschen Zeitung «Die Zeit» vom 23. Januar 2020. 

loewenstein kleinDr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft in Deutschland. Bild: zVg

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖWL) vereinigt in Deutschland die gesamte Bio-Branche. Dazu gehören auch die Bio-Verbände wie Bioland und Demeter. In seiner Stellungnahme zum grossen Interview von Urs Niggli (Direktor des FiBL) in der Wochenzeitung «Die Zeit» stellt Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des BÖLW-Vorstandes, fest: Der Biolandbau könnte die Weltbevölkerung ernähren. Dazu braucht es jedoch ein generelles Umdenken. Und dem Einsatz von gentechnischen Verfahren steht der BÖLW sehr kritisch gegenüber.

Nachfolgend die ausführliche Stellungnahme (Zwischentitel durch Bionetz-Redaktion)


«Ich finde, dass Urs Niggli viele diskutierenswerte Gedanken geäussert hat. Selbstverständlich muss sich auch der Biolandbau der Frage stellen, wie die wachsende Weltbevölkerung mit einer ausreichenden Menge und Qualität an Lebensmitteln versorgt werden soll. Nur finde ich seine Antworten darauf etwas zu sehr auf einzelne technische Lösungsvorschläge konzentriert und unzureichend dort, wo sie die systemischen Fragen ausblenden.

Westliche Konsummuster müssen ändern

Dass die Globale Ernährungssicherheit nicht herstellbar ist, wenn wir die derzeit bestehenden Konsummuster der westlichen Welt auf die gesamte Weltbevölkerung extrapolieren, ist doch die wichtigste Einsicht: Die Hälfte der Lebensmittel werden in der Mülltonne versenkt, 40% des Weltgetreides in den Futtertrog geschüttet, immer größere Flächen der im höchsten Masse Flächen-ineffizienten Energieerzeugung gewidmet – all das sind die vordringlichen Hebel, an die wir uns machen müssen. Lediglich immer mehr zu produzieren führt uns nicht in die Zukunft!
Gleichzeitig können wir bei den Hauptproduzenten des weltweiten Nahrungsangebotes, den Kleinbauern des Südens, beobachten, wie eine ökologische Intensivierung hohe Produktionssteigerungen ermöglicht – und zwar unter Aufgabe des Einsatzes teurer und in den Nebenwirkungen zweifelhafter technisch/chemisch- synthetischer Betriebsmittel.

Was die Gentechnik verspricht wird bisher nicht gehalten

Ob Gentechnikverfahren wie CRISPR die Erwartungen erfüllen können, die an sie gerichtet werden, ist ausserordentlich zweifelhaft. Die Versprechung, die an die neuen Verfahren geknüpft werden, stimmen verblüffend wortgleich mit denen überein, die schon für die erste Gentechnik-Generation gemacht und nie erfüllt wurden. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass schon wieder Patente auf die Produkte von CRISPR & Co gelegt werden und dass unerwartete Folgen der technischen Eingriffe ins Genom immer sichtbarer werden. All das sind gute Gründe, weniger blauäugig, als Urs Niggli das einfordert, mit diesen neuen Technologien umzugehen.

Die gesamte Landwirtschaft soll öko werden

Wenn der konventionelle Landbau immer mehr von dem übernehmen würde, was der ökologische Landbau entwickelt hat, wäre das keine Bedrohung. Das wäre eine hervorragende Nachricht! Es geht uns doch nicht darum, unsere Marktnische durch einen unnachahmbaren Alleinstellungsmerkmal zu verteidigen! Es geht uns darum, Landwirtschaft und Ernährung so zu gestalten, dass sie auf Dauer möglich bleibt, ohne dass die eigenen Produktionsvoraussetzungen und die Lebensgrundlagen der Menschheit vernichtet werden. Es könnte uns doch gar nichts besseres passieren, als wenn der Ökolandbau als Alternative überflüssig würde, weil die gesamte Landwirtschaft und die gesamte Ernährung diesen Pfad gefunden hat!

Regeln zwingen die Bio-Landwirtschaft zu Innovationen

Eine andere Frage ist es, welche Rolle der Ökolandbau in dieser Entwicklung zu spielen hat. Und hier ist für mich klar: unser Innovationskraft, die der gesamten Land- und Ernährungswirtschaft zugutekommen muss, liegt in den Restriktionen, die unser Richtlinienwerk setzt. Sie zwingen uns, stabile Systeme zu entwickeln, die ohne die Krücken auskommen, auf die unser Ökosystem durch die Evolution nicht vorbereitet worden ist. Das ist schon deshalb wichtig, weil es viele Anzeichen dafür gibt, dass das Anhalten des Artensterbens oder der Klimakrise nicht durch graduelle Veränderungen («25% Pestizidverminderung»), sondern nur durch den Umstieg in ein ganz anderes, die Wirkungsmechanismen natürlicher Systeme nutzendes Produktionssystem zu erreichen sind.

Bio-Landbau entwickelt sich weiter - und beeinflusst das Konsumverhalten

Besonders ärgerlich in Urs Nigglis Interview finde ich die Aussage: «Wenn wir weltweit gleich viele Menschen ernähren wollen, braucht der Biolandbau mehr Flächen, es müssen Wälder abgeholzt oder Naturschutzgebiete entwässert werden, also zusätzliche Flächen unter den Pflug genommen werden.» Diese Rechnung kenne ich bislang nur von den Vertretern der Agrarchemie! «100% Ökolandbau» sind ja ein Gedankenexperiment. Denn aktuell sind wir noch weit von 10% entfernt. Wenn man ein solches Experiment aber anstellt, sich also ausdenkt «was wäre, wenn…», dann muss man es doch zu Ende denken. Und einberechnen, dass sich auf dem Weg dorthin auch der Ökolandbau weiterentwickelt – u.a. durch die Hilfe des FiBL. Und dass eine veränderte Produktion zu veränderten Preisverhältnissen führt – vor allem was das Fleisch betrifft. Und dass andere Preisverhältnisse zu einem anderen Konsumverhalten führen – wiederum vor allem beim Fleisch, das kann man doch nicht einfach ausblenden!»

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des BÖLW-Vorstandes

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