Die Agrarinitiativen, die am 13. Juni zur Abstimmung kommen, provozieren emotionale Debatten. Sie hätten einen grossen Einfluss darauf, was in Zukunft in unseren Einkaufskörben landet. Im Folgenden fasst bionetz.ch die Argumente zum Thema Verteuerung von Lebensmitteln zusammen.

LebensmittelwarenkorbLebensmittelwarenkorb: wird es durch eine Annahme der Agrarinitiativen teurer und/oder nachhaltiger? Bild: Pixabay
Die GegnerInnen der Agrarinitiativen sehen eine Verteuerung der Lebensmittel als Folge einer Annahme, weil beide Initiativen den weitgehenden Verzicht auf synthetische Pestizide wollen und dies die Erträge um 30% senken würde. «Ein Bio-Einkaufskorb kostet heute rund 50 Prozent mehr als einer mit Lebensmitteln aus konventioneller Produktion», sagt Francis Egger, Vizedirektor des Schweizerischen Bauernverbands, mit Verweis auf eine Untersuchung des Bundesamts für Landwirtschaft. Das Eidgenössische Wirtschaftsdepartement rechnet ebenfalls damit, dass die Lebensmittelpreise bei einer Annahme der Initiative steigen würden. In einer Landwirtschaft ohne Pestizide nehme der Arbeitsaufwand zu, während die Ertragsmengen hiesst es. Und das das Bundesamt für Landwirtschaft befürchtet, dass bei einer Annahme der Pestizidinitiative gewisse Rohstoffe – wie Paprika oder Pfeffer – kaum mehr in Bio-Qualität auf dem Weltmarkt beschafft werden könnten. Das Ende der (Schweizer) Paprika-Pommes-Chips droht ganz offensichtlich. Lustig: Schon lange gibt es in Schweizer Läden (auch bei den Grossverteilern) Bio-Paprika-Chips …

Wiedersprüche zum Thema Preise und Importe

Die IG Detailhandel, der Coop, Migros und ihre Tochter Denner angehören, sieht durch die Initiativen die inländische Produktion und damit auch die Versorgungssicherheit der Schweiz gefährdet. Wegen der geringeren Produktion im Inland sei mit mehr Importen, mit deutlich höheren Beschaffungskosten, steigenden Konsumentenpreisen und letztlich einem wachsenden Einkaufstourismus zu rechnen. Vom faktischen Verbot der Pestizidinitiative, konventionell produzierte Lebensmittel einzuführen, wären die IG-Detailhandel-Mitglieder laut eigenen Angaben vor allem bei Reis, Getreide (Brot/Teigwaren), Früchten, Gemüse und Kartoffeln betroffen. Die Grossverteiler gehen davon aus, dass es bei Gewürzen, Obst und Gemüse, Kaffee oder Kakao zumindest kurz- bis mittelfristig schwierig werden würde, die benötigten Mengen zu beschaffen. Probleme hätte wohl auch die heimische Zuckerproduktion, weil Zuckerrüben in der Schweiz kaum als Bioprodukt hergestellt werden.

Etwas komplexer sieht die Situation aus, falls die Trinkwasserinitiative angenommen würde, die ebenfalls am 13. Juni zur Abstimmung kommt. Sie verbietet den Einsatz von synthetischen Pestiziden nicht, dafür würde sie aber Landwirte, die nicht pestizidfrei produzieren, von Direktzahlungen ausschliessen – ebenso Betriebe, die ihren Tierbestand nicht mit eigenem Futter ernähren könnten oder Antibiotika prophylaktisch einsetzen. Die Mitglieder der IG Detailhandel rechnen auch bei einer Annahme der Trinkwasserinitiative mit einer geringeren, gleichzeitig aufwendigeren inländischen Produktion, wachsenden Importen und steigenden Preisen. Allerdings: Hier widerspricht der Bund und schreibt: «Bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative würde die inländische Produktion voraussichtlich sinken. Die fehlenden Lebensmittel müssten importiert werden. Diese sind im Ausland im Durchschnitt wesentlich günstiger als in der Schweiz. So lagen die Preise für Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke 2019 in der Schweiz rund 65 Prozent über dem Mittelwert in der EU. Vermehrte Importe könnten sich somit senkend auf die Preise auswirken.»

Netto-Selbstversorgungsgrad und Nachhaltigkeit

Dass die inländische Produktion abnehmen könnte, bestreiten auch die landwirtschaftliche Denkfabrik Vision Landwirtschaft und 4aqua (eine Vereinigung aus 170 Wissenschaftern und Fachleuten), die sich für die Agrarinitiativen einsetzen, nicht. Die Zahl von 30% sei allerdings falsch. Zu Recht verweisen die WissenschafterInnen, die sich für die Trinkwasserinitiative starkmachen, darauf, dass ein solch starker Rückgang der Aussage des Bauernverbandes widerspricht: Dieser ist der Ansicht, dass viele Landwirtschaftsbetriebe bei Annahme der Initiative auf Direktzahlungen verzichten würden, um weiterhin in der Lage zu sein, Pestizide einzusetzen sowie Futtermittel zuzukaufen, und damit womöglich noch intensiver produzieren würden als bisher. Wäre dies tatsächlich der Fall, würde die Produktion gegenüber heute wohl sogar zunehmen.

Die Vereinigung 4aqua – die auch die rückläufigen Importe von Futtermitteln berücksichtigt – rechnet mit einem Rückgang der Nettoproduktion von nur 5 bis 7%. Sie verweist darauf, dass längst nicht alle Pflanzenschutzmittel von den Initiativen betroffen seien - nur die synthetischen. Entsprechend relativieren die Fachleute auch die Aussage, wonach der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz deutlich sinken würde. Berücksichtigt werden müsse hierbei die Problematik Food-Waste, wonach in der Schweiz rund ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet werde. Wenn man den Food Waste senke, wie dies der Bundesrat in Aussicht gestellt habe, müssten in Zukunft auch weniger Nahrungsmittel erzeugt oder importiert werden. Tatsächlich kann nur ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen die Versorgung langfristig sicherstellen.

Und wie sieht es mit den Preisen aus?

In der Botschaft des Bundesrats zur Trinkwasserinitiative heisst es, dass die Preise «tendenziell steigen» würden. Konkrete Zahlen nennt der Bund aber nicht – die Preisentwicklung ist schwer zu prognostizieren. Die grüne Nationalrätin Regula Rytz, verweist darauf, dass die Detailhändler heute hohe Margen auf Bioprodukte schlügen, um die Preise der konventionellen Nahrungsmittel tief zu halten. Und sie argumentiert: Würden alle Produkte ohne synthetische Pestizide hergestellt, wäre eine Quersubventionierung auf Kosten der Umwelt nicht mehr möglich. Und: «Es wäre falsch, Sozialpolitik über die Nahrungsmittelpreise machen zu wollen.» Denn konventionelle Lebensmittel seien heute oft zu billig, so Rytz. «Wer ein Kilo Äpfel für 2 Franken kauft, zahlt damit nicht für die Folgeschäden, die der Pestizideinsatz auf Umwelt und Biodiversität anrichtet.» Es seien wir SteuerzahlerInnen, die anschliessend beispielsweise für teure Sanierungen der Trinkwasseranlagen aufkämen. «Müssten die Konsumentinnen diese Kosten direkt an der Kasse bezahlen, wären Fleisch und Gemüse aus herkömmlicher Produktion unter dem Strich sogar teurer.» Und: «Es wäre falsch, Sozialpolitik über die Nahrungsmittelpreise machen zu wollen.» Auch Menschen, die wenig verdienen, müssten Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben. Mehr als die Ernährung belasteten zudem andere Ausgabeposten wie die Mieten oder Krankenkassenprämien das Familienbudget – «dort gilt es anzusetzen».

Wir geben so wenig aus für Lebensmittel wie nie zuvor

Tatsächlich zeigt die langjährige Haushaltsbudgeterhebung des Bundesamts für Statistik, dass wir anteilsmässig noch nie so wenig für die Ernährung ausgegeben haben wie heute: 6,3 Prozent des Einkommens sind es aktuell im Schnitt, 1970 waren es noch fast 20 Prozent, vor 100 Jahren an die 40 Prozent. Ernährungsforscherin Christine Schäfer bestätigt: «Dass sich auch Familien mit tiefem Einkommen regelmässig Fleisch oder exotische Früchte leisten können, hätte man sich vor zwei, drei Generationen nicht träumen lassen.» Die fortschreitende Industrialisierung habe es möglich gemacht, viele Nahrungsmittel in grösseren Mengen und viel günstiger herzustellen. Dies sei mitunter auf Kosten von Sozial-, Umwelt- und Tierwohlstandards geschehen. Im Einkaufsverhalten öffnete sich in der Folge eine Schere: Während ein Teil der Gesellschaft froh darum ist, für wenig Geld viele Kalorien zu erwerben («Denken Sie nur an die Alleinerziehende mit drei pubertierenden Jungs»), formierte sich in anderen Teilen eine Gegenbewegung, die laut Schäfer «sehr bewusst bis aktivistisch» konsumiert. Dieser Trend schlägt sich seit Jahren in steigenden Absätzen von Bioprodukten nieder, aktuell liegt der Marktanteil in der Schweiz bei knapp 11 Prozent. Naheliegend ist, dass die Preise für Bioprodukte bei einem Ja zur Trinkwasserinitiative sogar sinken dürften, nicht zuletzt, weil viele Höfe auf Pestizidfrei umstellen würden. Genau diese Befürchtung hat die Delegierten von Bio Suisse dazu bewogen, die Trinkwasserinitiative (im Gegensatz zur Pestizidinitiative) abzulehnen. Sie fürchten, Marktanteile zu verlieren.

Quellen
Der Bund vom 4. Mai 2021, Autorin Jaqueline Büchi & NZZ vom 4. Mai 2021, Autorinnen Nicole Rütti und Natalie Gratwohl
Bundesamt für Landwirtschaft

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