Gegen die zwei Agrarinitiativen, über die wir am 13. Juni abstimmen, wir ins Feld geführt, dass ihre Umsetzung den Selbstversorgungsgrad vermindern würde. Das ist nicht naturgegeben. Doch für einen stabilen oder steigenden Selbstversorgungsgrad braucht es ein Umdenken von allen, auch den KonsumentInnen: weniger Fleisch und Eier essen und weniger Foodwaste verursachen, so lautet die Devise.

Mit pflanzenbasiertem Essen den Selbstversorgungsgrad erhoehenMit pflanzenbasiertem Essen den Selbstversorgungsgrad erhöhen. Bild: Pixabay
Die Zahlen des Bundes sagen: zu 58 Prozent ernährt sich die Schweiz mit mit Nahrungsmitteln aus eigener Produktion (Stand 2018). Doch die 58 Prozent sind zu hoch gegriffen. Denn bei dieser Bruttozahl ist nicht berücksichtigt, dass wir jährlich über eine Million Tonnen Futtermittel importieren und damit etwa die Hälfte unseres Fleisches produzieren. Zirka die Hälfte des Ackerlands, das Futter für unsere Nutztiere liefert, liegt also heute nicht in der Schweiz sondern im Ausland. Ehrlicher ist es daher, den Selbstversorgungsgrad netto auszuweisen. Dieser liegt bei 51 Prozent. Importe von Dünger, Maschinen und Treibstoffe, die für die Inlandproduktion nötig sind, sind dabei nicht berücksichtigt.

Die Produktion von Futtermitteln für Nutztiere ist bei uns wie auch im Ausland der Motor einer zu intensiven und naturschädigenden Landwirtschaft. Weltweit dienen – zusätzlich zu Wiesen und Weiden – 30 Prozent der Ackerböden der Fütterung von Vieh, nicht von Menschen! Und in der Schweiz liegt dieser Anteil deutlich höher. Viehhaltung ist aber nur dort nachhaltig, wo sie nicht Naturflächen beansprucht, sondern mehrheitlich auf Grasland und Reststoffen (z.B. Nebenprodukte der Mühlen) beruht.

50 Prozent des Schweizer Fleisches und sogar 70 Prozent der Schweizer Eier nur durch Futtermittelimporte möglich

Die Werbeplattform für Fleisch «Proviande» redet die Futtermittelimporte trickreich klein. In der Schweiz stammten 85 Prozent des Futters von hiesigen Böden, argumentiert sie. Doch das stimmt nur von der Menge in Tonnen und Kilo, nicht vom Nährwert her. Kraftfutter kommt zu mehr als 50 Prozent aus dem Ausland. Es wird in Form von Agrarrohstoffen wie Weizen und Soja in die Schweiz importiert und von Futtermühlen zu einer Vielfalt von Mischfuttern verarbeitet. Um alle Tiere zu ernähren, setzen die Schweizer TierhalterInnen gemäss Agrarstatistik insgesamt pro Jahr rund 25 Millionen Tonnen Raufutter und 4 Millionen Tonnen Kraftfutter ein. Das führt dazu, dass 50 Prozent des Fleisches und 70 Prozent der Eier nur durch Futtermittelimporte möglich sind. Unsere hohen Tierbestände sind aber die Hauptursache für die Überdüngung von Boden und Gewässern.

Verzicht auf Futtermittelimporte wäre sinnvoll

Somit ist klar: Der Verzicht auf Futtermittelimporte, zu dem die Trinkwasserinitiative (mit komplizierteren Formulierungen als diese) schlussendlich führen würde, würde die Umwelt massiv entlasten. Aber ebenso klar ist: Die dadurch sinkende Produktion von tierischen Lebensmitteln darf nicht einfach durch Fleischimporte kompensiert werden. Es sind also nicht einfach die LandwirtInnen, die den Wandel schaffen müssen, sondern es geht um die Konsumgewohnheiten von uns allen. Konkret: um den (zu) hohen Konsum von tierischen Lebensmitteln. Die grossen Mengen an Fleisch, Eiern und Milchprodukten, die wir verzehren, lassen sich nicht aus unseren Böden erzeugen. Eine «standortangepasste und ressourcenschonende Landwirtschaft» – als Mittel zur Sicherung unserer Ernährung in der Verfassung verankert – ist mit dem heutigen Verzehr von Kalorien aus der Viehwirtschaft nicht erreichbar.

Tierische Produkte mit Mass

Sich in der Schweiz in einem bescheidenen Mass von tierischen Produkten zu ernähren, macht ökologisch durchaus Sinn. Denn ein wesentlicher Teil unserer landwirtschaftlichen Flächen eignen sich am besten als Grasland für die Tierhaltung und Tierernährung. Bei einer standortangepassten Bewirtschaftung, was auch das Ziel der Trinkwasserinitiative ist, müssten die Bestände von Schweinen, Geflügel, Mutterkühen und Mastrindern – drastisch sinken. Wiesen und Weiden würden vor allem den Milchkühen dienen. Bei diesem Modell könnte sogar ein Teil des Graslands weniger intensiv genutzt werden als heute. Das käme der bedrohten Vielfalt von Wiesenpflanzen und ihren Bestäubern sowie den am Boden brütenden Vögeln zugute.

Selbstversorgung steigt massiv wenn mehr für die Menschen produziert wird

Eine Umstellung auf stärker pflanzenbasierte Nahrung macht importierte Futtermittel überflüssig. Das umstrittene Sojaschrot, für dessen Anbau grosse Flächen von Urwald geopfert werden, fällt ganz weg. Als Ergänzungsfutter für Hochleistungskühe rechnet Agroscope nur noch mit etwas Körnermais und Gerste. Bei diesem Regime verringert sich auch der Flächenbedarf für den Futtermittelanbau im Inland. Folglich werden Ackerflächen frei, auf denen unsere Landwirtschaft mehr Getreide, Kartoffeln, Raps und Gemüse für die Menschen anbauen könnte. Mit diesem Wandel liesse sich ein massiv höherer Selbstversorgungsgrad erreichen als heute. Wer eine möglichst kleine Abhängigkeit von Futter- und Lebensmittelimporten wünscht, müsste sich also für diesen Wandel einsetzen.

Foodwaste ade durch mehr Wertschätzung und Sorgfalt

Zusätzlich lässt sich der Selbstversorgungsgrad steigern, wenn vom Feld bis zum Teller weniger Lebensmittel verschwendet werden. In der Schweiz fallen laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) jährlich 2,6 Millionen Tonnen Lebensmittelverluste an. Mindestens zwei Drittel davon wären vermeidbar. Das würde nicht nur der Umwelt dienen, sondern auch dem Haushaltbudget. In der Gastronomie entsprechen die Kosten für die überflüssigen Rohstoffe und deren Entsorgung einer Milliarde Franken pro Jahr, schreibt das BAFU. Die KonsumentInnen schmeissen für 600 Franken pro Kopf Essen weg. Lebensmittel wegzuwerfen ist ein Symptom für mangelnde Wertschätzung. Wenn Nahrungsmittel einen höheren Anteil des Haushaltsbudgets beanspruchen würden, würden wir alle sorgfältiger einkaufen und Reste verwerten. Wenn also die Lebensmittelpreise durch eine ökologischere Produktion tatsächlich steigen würden, was nicht klar ist, so liessen sich die Mehrausgaben mit Achtsamkeit und Sorgfalt locker kompensieren.

PS Eine Nebenbemerkung zum Transport:

Der Transport von Importgütern belastet zwar die Umwelt. Doch ausser bei Waren aus Übersee schlägt der Transport bezüglich Umweltbelastung weniger zu Buch als die Produktionsweise. Und diese ist in unseren Nachbarländern im Mittel weniger intensiv als in der Schweiz – allen Behauptungen und Werbesprüchen zum Trotz.

Quellen
Artikel: Agrarwende kann die Selbstversorgung sogar erhöhen, von Beatrix Mühlethaler auf Infosperber vom 20.5.2021
Der Futtermittelschwindel, Greenpeace Schweiz, Februar 2021

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