- 03. Oktober 2021
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In einem Interview im Bioaktuell beschreibt Eva Gelinsky, die sich als freie Wissenschaftlerin seit über 15 Jahren mit Bio- und Gentechnologie, Patentrecht und allen Fragen rund ums Saatgut beschäftigt, was sie von der sogenannten neuen Gentechnik hält.
Der Bundesrat will das Moratorium für die Freisetzung von genveränderten Organismen im Schweizer Gentechnikgesetz um weitere vier Jahre verlängern. Nun wird in der Schweiz – wie bereits in der EU – ein heftiger Streit um das künftige Gentechnikrecht losgehen, so die freie Wissenschaftlerin Eva Gelinsky: «Sollte in der EU die neue Gentechnik vom Gentechrecht ausgenommen werden, wird die Schweiz vermutlich nachziehen».
Aber wie unterscheiden sich neue und alte Gentechnik?
Die alte Gentechnik sei sehr unpräzise: «Man schiesst die Eigenschaft, die man einbringen möchte, in die Zelle und diese baut sich dann sehr zufällig – wenn überhaupt – irgendwo ein. So dauert es lange, bis man den gewünschten Effekt erreicht». Die neue Gentechnik könne hingegen - mindestens gemäss Theorie - bestimmte Stellen im Erbgut ansteuern. Eva Gelinsky erklärt: «Dort trennt man dann mit der Genschere «Crispr/Cas» den Gen-Doppelstrang auf. Die Zelle versucht, diesen massiven Schaden zu reparieren. Dabei passieren Fehler und das ist gewünscht. Denn so werden bestimmte Genfunktionen ausgeschaltet». Solche ausgeschaltete Genfunktionen bewirken etwa, dass eine so veränderte Kartoffel nicht mehr braun wird beim Anschneiden. Bei Schweinen führt das Ausschalten von Genen, die das Muskelwachstum begrenzen, zu sogenannten Doppelmuskelschweinen. Es sei aber ein junges Verfahren, bei dem die Erfahrung fehle, erklärt Eva Gelinsky: «Die entscheidenden Publikationen zu Crispr/Cas erschienen erst 2012». Es ginge also um das Vorsorgeprinzip, wenn der Europäische Gerichtshof in einem Urteil von 2018 verfügte, dass die neuen Gentechnikmethoden ebenfalls unter das Gentechnikgesetz.
Neue Organismen, die nicht nur eine Saison auf dem Acker stehen
Gerade bei Anwendungen wie die «Gene Drives», das ist ein Verfahren zur beschleunigten Vererbung einer Eigenschaft, sei aber das Vorsorgeprinzip laut Eva Gelinsky zwingend. «Damit versucht man beispielsweise die Mücken auszurotten, die Malaria übertragen. Da werden also Organismen kreiert, die nicht «nur» eine Saison auf dem Acker stehen. Einmal freigesetzt, wären sie definitiv nicht mehr rückholbar und könnten ganze Ökosysteme verändern. Man weiss noch nicht einmal, wie man da eine vernünftige Risikobewertung vornehmen soll. Man arbeitet auch an Viren, Bakterien, Mikroorganismen. Überall werden die neue Gentechnikmethoden eingesetzt.»
Antibiotikaresistenz ungewollt eingebaut?
Auch mit der neuen Gentechnik kann man artfremde Erbsubstanz in ein Organismus bringen. Denn man nutzt, um die Genschere in die Zelle zu bringen, entweder die Genkanone der alten Gentechnik oder das Agrobakterium als eine Art Genfähre. «Dabei kann es passieren, dass sich Teile der Genschere ungewollt mit in die DNA einbauen», weiss Eva Gelinsky. Wie in den Jahren 2015 und 2016, als Rinder gentechnisch so verändert wurden, dass ihnen keine Hörner mehr wuchsen. Wie man erst 2019 feststellte, wurde dabei aber auch Erbgut von Bakterien, die im Verfahren eingesetzt wurden, in die Rinder «eingebaut». Man fand im Rindererbgut unter anderem vollständige Genkonstrukte, die eine Resistenz gegen Antibiotika vermitteln können.
Keine Wahlfreiheit mehr
Der Prozess sei also entscheidend, um zu erkennen, welche Risiken damit verbunden sein können. Wenn die neuen Gentechnikmethoden aus dem Gesetz ausgeklammert würden, müssten daraus hervorgehende Produkte kein Zulassungsverfahren nach Gentechnikrecht mehr durchlaufen. Eva Gelinsky warnt: «Es würde dann keine Risikobewertung vorgenommen und kein Monitoring mehr gemacht. Man könnte die Produkte nicht rückverfolgen, wenn etwas damit schiefläuft. Es wäre ein Freipass für diese Produkte, denen einfach unterstellt würde, sie seien sicher. Eine reine Unterstellung. Denn man weiss nicht, was tatsächlich in den Pflanzen passiert». Damit würde auch die Deklarationspflicht wegfallen und selbst der Biolandbau könnte nicht gentechfrei bleiben, und die Wahlfreiheit der KonsumentInnen wäre weg.
Nichts betreffend Klimawandel in der Pipeline
Auch VertreterInnen des Biolandbaus setzen auf die neue Gentechnik, um schneller krankheitsresistente und klimatolerante Sorten zu züchten. Eva Gelinsky kann deren Argumentation nicht nachvollziehen: «Sie verlassen sich auf die Versprechen jener, die diese Verfahren patentieren lassen und kommerziell nutzen wollen, wie die grossen Agrarkonzerne Bayer oder Corteva». Diese würden viel versprechen, gerade beim Klimawandel, der dringend Lösungen benötigt. Dennoch, so Eva Gelinsky, «aktuell gibt es in der Pipeline der Agrokonzerne nichts in dieser Hinsicht. Klima- oder krankheitstolerante Pflanzen lassen sich mit den neuen Methoden gar nicht ohne Weiteres entwickeln». Trockenheitstoleranz, zum Beispiel, sei eine sehr komplexe Eigenschaft, die man nicht mit der Veränderung einzelner Gene erreichen könne. Und Krankheitsresistenzen seien meist von Schadorganismen schnell durchbrochen.
Die alte Gentechnik hielt Versprechen nicht
Bereits die alte Gentechnik hatte ja versprochen, den Hunger zu besiegen, dem Wassermangel zu trotzen, Pflanzenschutzmittel einzusparen. Eingetroffen ist das nicht, im Gegenteil, stellt Eva Gelinsky fest.
Zur Person
Eva Gelinsky doktorierte mit einer agrarwissenschaftlichen Arbeit in Geografie. Sie ist politische Koordinatorin der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit, ein Zusammenschluss von BiozüchterInnen und Saatgutinitiativen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als selbstständige Wissenschaftlerin macht sie Recherchen zu Gentechnik und Züchtung in der Schweiz und in der EU, unter anderem für das Bundesamt für Umwelt BAFU und Bio Suisse.