- 15. August 2022
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Im Tagi-Interview spricht Ernährungsforscherin Christine Brombach über unseren hohen Fleischkonsum und dessen Folgen. Anderthalb Monate vor der Abstimmung über die Massentierhaltungs-Initiative warnt sie vor den Folgen von Billignahrungsmitteln.
«Die Mengen Fleisch und tierische Produkte, die wir derzeit konsumieren, lassen sich nicht rechtfertigen», sagt Ernährungsforscherin Christine Brombach. Heute essen wir in der Schweiz mehr als 50 Kilo pro Kopf und Jahr, Säuglinge eingerechnet - das macht fast ein Kilo pro Woche. Viel zu viel, findet die Wissenschaftlerin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil.
Weniger tierische Produkte
Die heutige Menge Fleisch sei zu viel, denn wir müssten mit unseren Ressourcen viel haushälterischer umgehen, wenn wir die Klimaziele 2030 erreichen wollen, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat. Und wenn wir wollen, dass sich in Zukunft weltweit 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren können. Für die globale Nutztierhaltung und deren Futtermittel werden Regenwälder gerodet und Futterpflanzen angebaut, was mit einem hohen Wasserverbrauch und CO2-Ausstoss verbunden ist. Für eine Kilokalorie Fleisch muss rund zehnmal mehr Energie aufgewendet werden als für eine Kilokalorie pflanzliche Nahrung. Die Planetary Health Diet empfiehlt maximal 200 bis 300 Gramm Fleisch pro Woche. Das entspricht zwei fleisch- oder fischbasierten Speisen, wobei das Prinzip «from nose to tail» gelten sollte. Dazu ein bis zwei Eier pro Woche und zwei Portionen tierische Milch oder Milchprodukte pro Tag.
Tiere als Dinge
Industrialisierungsprozesse und ein zunehmend anonymer Massenmarkt hätten dazu beigetragen, Tiere als Sache und nicht mehr als eigenständige Lebewesen wahrzunehmen, so Christine Brombach. Sie seien zu einer Ware geworden und hätten damit ihre Würde verloren. Fleisch – einst ein seltenes Essen – ist heute in einer Masse verfügbar, wie es in der Menschheitsgeschichte noch nie der Fall war. Heute betrachteten wir Essen als Ausdruck unserer Persönlichkeit: Über Essen werde heute öffentlich diskutiert. Es entstehen neue Debatten – gerade über unseren Fleischkonsum, weil wir damit eben Veränderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit bewirken können.
Gewohnheiten können sich ändern
Unsere Ernährung untersteht stark der Gewohnheit. «Pro Tag treffen wir rund 240 intuitive und emotionale Entscheidungen, welche das Essen betreffen», sagt Christine Brombach. Wir greifen dabei auf Routinen zurück, die wir als Kind gelernt haben. Es gibt aber Momente im Leben, die uns dazu veranlassen können, unsere Ernährung zu überdenken. Eine neue Partnerschaft, ein Kind oder eine Krankheit beispielsweise. Bildung spielt auch eine wichtige Rolle. Schulen sollten unbedingt mehr über die komplexen Zusammenhänge der Lebensmittelproduktion informieren. Und wenn dann jede Person etwas verändert, dann passiert bei 1.5 Tonnen Lebensmittel pro Person und Jahr sehr viel.
Nahrungsmittel sind viel zu billig
Momentan seien Lebensmittel viel zu billig, so Brombach. Dies sei insbesondere bei konventionell produzierten Lebensmitteln so. Die sogenannte externen Kosten – also z.B. die Kosten für den CO2-Ausstoss oder für die Folgen von Pestizid- und Düngereinsatz seien nicht eingerechnet. Diese trägt die Allgemeinheit. Bioprodukte, seien meist teurer und werden weniger gekauft, obwohl sie viel weniger Umweltschäden verursachen.
Das will die Massentierhaltungs-Initiative
Die Würde der Tiere soll geschützt und die industriell orientierte Haltung in grossen Gruppen verboten werden. Dies verlangt die Initiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz», die am 25. September zur Abstimmung gelangt. Die Tiere sollen unter anderem mehr Platz erhalten und täglich auf die Weide gelassen werden. Beim Schlachten sollen sie weniger Stress erleben. Der Bund soll Kriterien festlegen, die den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen. Produkte zu importieren, die die Kriterien nicht erfüllen, soll verboten werden. Die Initiative sieht eine Übergangsfrist von 25 Jahren vor.
Quelle: Quelle: Tages-Anzeiger vom 15. August 2022, Seite: 4, Interview von Eveline Rutz