Vom Feld in den Laden nehmen Lebensmittel die unterschiedlichsten Wege. Gerade Bioläden können Geschichten erzählen und die verschiedenen Schritte bis zum Konsum erlebbar machen. Der klassische Bio-Fachhandel gerät aber in starke Bedrängnis. Was würde fehlen, gäbe es Bioläden nicht mehr?

Illu BioladenIllustration Bioladen, zur Verfügung gestellt
Die Warteschlange zur Mittagszeit kommt genau vor der Käsetheke zu stehen. Im hinteren Teil des Ladens hat der Ladeninhaber Pierre Moser vom Bioladen Altstetten ZH vor vier Jahren den Küchenbereich ausgebaut. Heute ziehen die vegetarischen und veganen Take-Away-Suppen und -Menues mit frischen, saisonalen und lokalen sowie biologischen Zutaten viele Arbeitende aus dem Stadtteil zum Mittagessen an. Das Warten vor der Auslage mit dem schön gereiften Alpkäse lässt einige den Blick auch übers übrige Sortiment schweifen. «Mit dem Angebot über Mittag kommen wir bei grossem Aufwand eigentlich bei Null raus, aber mit den spontanen Zusatzverkäufen rechnet es sich doch», erklärt Pierre Moser.

Bio ist ein Vibe

Das Mittagsangebot entstand, weil sie im Bioladen Altstetten keine Lebensmittel mehr entsorgen wollten. Heute setzen sie im Laden insgesamt viel mehr Gemüse ab, wodurch sich der Warenumschlag erhöht. «Weil wir jetzt mehr Gemüse brauchen, müssen wir es auch öfter liefern lassen und dadurch ist das Sortiment viel frischer», sagt Pierre Moser. Grössere Mengen an Gemüse erleichtern auch die Logistik. Weder für ihn noch für die LieferantInnen würde es sich lohnen, wenn er jeweils nur drei Blumenkohlköpfe bestellt. Grössere Mengen machen die direkte Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben aus der Region zudem attraktiver. Nicht zuletzt bringe das Take-Away aber auch einfach Leben und unterschiedliche Leute in den Laden. In der Schaufensterbucht gibt es eine Sitzecke für jene, die ihre Suppe in Ruhe aus einem Teller essen wollen.

Bioladen Altstetten

Vom Feld ins Regal

Und was ist Bio sonst noch? Für LandwirtInnen ist Bio zuerst mal ein durch das Gesetz und durch Labels geregeltes Anbausystem. Die biologische Landwirtschaft folgt aber auch stärker als andere Anbausysteme ethischen Grundsätzen. Im Kern will der Biolandbau eine umwelt- und tiergerechte, ressourcen-schonendere Landwirtschaft, die Nährstoffkreisläufe schliesst und vielfältige Fruchtfolgen anbaut. Wer einen Biohof betreibt, kann die Ansprüche aus dieser Haltung und Ethik in der alltäglichen Arbeit abgleichen und einlösen. Was aber ist Bio für Personen, die keine Landwirtschaft betreiben? Oftmals ist ihre Motivation, nachhaltiger einzukaufen oder sich gesünder zu ernähren. Weil aber die meisten KonsumentInnen keinen direkten Zugang zur Produktion haben, braucht es etwas Vermittlung zur Bestätigung ihrer Idee und Vorstellung von Bio. Für viele KonsumentInnen ist Bio deshalb zunächst einmal Marketing.

Der Ort, wo Bio-Geschichten erzählt werden

Bioläden waren lange Zeit die besten Orte für die Bio-Geschichte. Vom Feld zum Transport über den Laden bis zum Tisch konnten KonsumentInnen das wesentliche des Bio-Produkts erkennen. In den meisten Bioläden finden sich auch heute noch Marken, die schon so bio aussehen, dass sie kein Label brauchen, um zu überzeugen. Die Bioläden aus den 1980er Jahren hatten Wiedererkennungswert und grenzten sich auch mit ihrer Einrichtung von den als steril und uniform wahrgenommenen Supermärkten ab. Die BetreiberInnen der Bioläden waren sehr gut über ihre Produkte informiert und konnten jene überzeugen, die Fragen nach der Herkunft ihrer Lebensmittel stellten.

Veränderungen im Biohandel

Spätestens seit der Schliessung der Müller Reformhäuser steht der Biofachhandel im medialen Fokus. Die einen schreiben von einer Biokrise, andere sehen das Problem im Biofachhandel. Laut verschiedenen AkteurInnen der Biobranche sei der Umsatz mit Bio jedoch auch im Jahr 2022 gewachsen, allerdings weniger stark als in den Vorjahren. Im Lebensmittelbereich ist es weiterhin das Biosortiment, das wächst. Insgesamt scheint es, als hätte vor allem der Biofachhandel eine Schwäche. Denn heute sind Bioläden ein Kanal unter vielen, über welchen Bioprodukte verkauft werden. Supermärkte führen meist ein biologisches Vollsortiment, das weit über die beliebten Bio-Warengruppen Gemüse, Früchte, Brot und Eier hinaus geht. 95% aller Haushalte konsumieren mindestens einmal im Jahr Bio-Produkte, wobei 50% wöchentlich auf Bio-Produkte zurückgreifen. Mit dem grösseren Publikum sind auch die Ansprüche an die Bioproduktion vielfältiger geworden. Bio muss sich heute weniger abgrenzen – die Produkte sollen aber ein gewisses Preisniveau nicht überschreiten und ohne grossen Zeitaufwand zu besorgen sein. Laut den Angaben des Bio-Marktberichts des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), entsprach 2020 das Umsatzvolumen von Bio-Produkten einem Marktanteil von 11% im Schweizer Detailhandel. Auf welche Absatzkanäle sich dieser Marktanteil verteilt, kann im jährlich aktualisierten Bericht von Bio Suisse, «Bio in Zahlen», nachgelesen werden. Im Bericht von 2021 waren es 9,3%, die vom gesamten Bio-Umsatz auf den Biofachhandel entfallen. Darin enthalten ist aber auch der Umsatz der Ladenkette Alnatura, die sich in ihrer Struktur und Logistik deutlich von den klassischen Bioläden unterscheidet. Laut der Handelsfirma Biopartner gibt es in der Schweiz 411 Bioläden. Wirklich bedeutend im Biomarkt sind aber die grossen DetailhändlerInnen, die 81% der gesamten Bio-Umsätze machen. Unter ihnen haben gerade die Discounter in den letzten Jahren stark zugelegt.

Am Puls bleiben

Aktuelle Ergebnisse zeigen laut Hanna Stolz vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), dass die Nachfrage nach Bioprodukten stabil ist. Und auch langfristig zeichne sich eine leicht steigende Nachfrage ab. Trotzdem würden sich die Bedingungen für gewisse Einkaufskanäle weiter verschlechtern. «Viele Leute haben deutlich weniger Zeit zum Einkaufen als in den Pandemiejahren und die Preissensibilität steigt», sagt sie. Zudem wirke die immer bessere Verfügbarkeit und wachsende Sortimentsbreite von Biolebensmitteln im Detailhandel der Nachfrage in Bioläden entgegen. Bioläden sind gegenüber den Discountern und grossen DetailhändlerInnen aber auch punkto Qualität unter Druck geraten. Grosse Ladenketten können mit ihrer professionellen und weit verzweigten Infrastruktur für Transport und Lagerung dafür sorgen, dass jeden Tag frisches Biogemüse von guter Qualität verfügbar ist. Dass Bio bei den meisten KundInnen mit einem besonderen Qualitätsanspruch an Geschmack und Frische verbunden ist, kommt dem grossen Detailhandel entgegen.

Bioläden als Orte der Begegnung

«Genau da, bei der Qualität, müssen wir ansetzen, wenn wir bestehen wollen», sagt Pierre Moser. Einen Teil seines Frischsortiments bezieht er von Pico Bio oder von Biopartner. Er arbeitet aber auch gerne direkt mit lokalen Betrieben zusammen. Durch den Wegfall einer Handelsstufe erreicht er einen besseren Handelspreis. Wenn er beispielsweise vom Gemüsebetrieb Hof Blum in Samstagern eine Lieferung entgegennimmt, erhält er zudem eine sehr gute Qualität, weil das Gemüse nicht selten nur wenige Stunden vorher geerntet wurde. Im direkten Handel mit LandwirtInnen sei die Logistik aber meistens anspruchsvoller und die Organisation braucht mehr Engagement. Hingabe erkennt man auch am Sortiment im Bioladen Altstetten, wo kleine Marken und die Produkte lokaler Projekte zu finden sind. Anna aus Schweden hat ihr Hobby im Backen mit Sauerteig professionalisiert und liefert nun zweimal pro Woche ihre Brote. Mikka, in Altstetten aufgewachsen, veredelt Fleisch und Gemüse aus der Stadt Zürich zu Trockenwürsten, die «Stadtjäger» und «Gartenjäger» heissen. Mit grosser Offenheit für Neues möchte sich der Bioladen von anderen Angeboten abheben, aber auch eine Plattform für Experimentelles aus der Lebensmittelverarbeitung bieten. Wie mit einer Petrischale im Labor können Leute mit guten Ideen im Bioladen einfach mal ausprobieren, ob ihr Projekt wächst und funktioniert. «So können sich Bioläden auch als Orte der Begegnung und des Austausches weiterentwickeln», ist Pierre Moser überzeugt. Er verfolgt heute noch, was ihn schon vor über 20 Jahren zur Gründung des Ladens motiviert hat: fair miteinander handeln und für Vielfalt einstehen. Ausserdem sagt er: «Wenn wir die nicht-industrielle, kleinstrukturierte Landwirtschaft erhalten wollen, braucht es auch die kleinen Bioläden, die den Unterschied zur Massenproduktion in Bio wieder erkennbar machen».

Quelle: «ernteriif» Nr. 6: Die Zukunft der Bioläden

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