- 26. Oktober 2023
- Nachrichten | Branchen-News
Die Biobranche fordert: Die heute geltenden Regelungen zur Sicherung von Wahlfreiheit und Transparenz müssen anwendbar bleiben. Und gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere müssen weiterhin auf Risiken geprüft werden, bevor sie auf unseren Tellern landen.
Der Bundesrat hat am 25. Oktober eine Aussprache darüber geführt, wie die Gentechnik-Regulierung in Bezug auf neue gentechnische Verfahren angepasst werden soll. Dabei hat er die Eckwerte für die Vernehmlassungsvorlage festgelegt, die bis im Sommer 2024 ausgearbeitet wird. Der Bundesrat möchte den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren liberalisieren und dabei das verfassungsmässige Vorsorgeprinzip berücksichtigen. Gleichzeitig möchte er den Vorschlägen der EU folgen. Diese diskutiert zurzeit eine weitgehende Liberalisierung und will neue genomische Verfahren sogar im Biolandbau zulassen.
Achtzig Prozent der Schweizer Konsument:innen lehnen Gentechnik in Nahrungsmitteln ab. Möglicherweise werden sie aber in Zukunft gezwungen, diese trotzdem zu essen, weil sie gentechnisch veränderte Produkte mangels Kennzeichnung gar nicht erkennen können. Und die Hersteller von Bio- oder gentechfrei-Produkten müssen mit hohem eigenem Aufwand gewährleisten, dass keine Gentechnik in ihre Wertschöpfungsketten gelangt. Gemäss einer Medienmitteilung begrüsst Bio Suisse darum, dass der Bundesrat den Wünschen der Konsument:innen nach Transparenz und Sicherheit – anders als die EU-Kommission – Rechnung tragen will.
Bundesrat will EU-Vorschlag folgen
Mit einem Gesetzes-Trick soll in der EU dafür gesorgt werden, dass der überwiegende Teil gentechnisch veränderter Nahrungsmittelpflanzen nicht mehr auf Risiken geprüft und nicht mehr deklariert werden muss. Solche Pflanzen sollen sogar im Biolandbau erlaubt werden, obwohl sie von den Bioorganisationen und den Bio-Konsument:innen dezidiert abgelehnt werden.
Der Bundesrat ist gemäss Bio Suisse darin zu bestärken, dass er diese Regelung nicht tel quel für die Schweiz übernehmen will. Würde er der EU folgen, kämen gentechnisch veränderte Sorten ohne Risikoprüfung in den Anbau. Erleiden Bäuerinnen und Bauern, Verarbeiter oder Konsument:innen Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen (GVO), müssten sie vor Gericht Schadenersatz erstreiten und die nötigen Beweise erbringen. Dies ist schwierig, riskant und kostspielig. Das aktuelle Schweizer Gentechnikgesetz ist in diesem Punkt heute streng, würde aber durch die Neuregelung völlig unterlaufen.
Biobranche fordert Rücksicht auf Bio
Urs Brändli, Präsident von Bio Suisse, spricht sich nachdrücklich gegen jeden Einsatz von Gentechnik im Bio-Bereich aus und fordert klare Rahmenbedingungen: «Bio-Produkte müssen weiterhin frei von Gentechnik bleiben. Dies verlangen die Konsument:innen, aber auch alle Bioorganisationen weltweit. Die Anwender von Gentechnik dürfen nicht privilegiert werden, indem Risiken und Kosten auf die Biolandwirt:innen sowie Konsument:innen abgeschoben werden. Wir fordern mehr Perspektiven für die agroökologische Landwirtschaft und keine neuen Privilegien für die Agrarindustrie.»
Niklaus Iten, Präsident der IG Bio, verlangt griffige Gesetze, um die Koexistenz zu ermöglichen: «Die Bio-Branche ist auf Transparenz und auf klare Haftungsregeln angewiesen. Das bisherige Gentechnikgesetz stellt dies sicher, aber nur wenn es auch auf die neuen gentechnischen Verfahren angewendet wird. Dies ist durch den Bundesrat zu berücksichtigen.»
Amadeus Zschunke, Züchter bei der führenden Schweizer Bio-Züchtungsorganisation Sativa, betont: «Auch in der EU regt sich grosser Widerstand gegen den Abbau des Schutzes der Züchter:innen, Landwirt:innen sowie Konsument:innen gegen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und -tiere. Wir Pflanzenzüchter:innen brauchen diesen Schutz, um arbeiten zu können. Wir wehren uns dagegen, dass der Gesetzgeber Techniken bevorzugen will, die ihre Versprechen seit dreissig Jahren nicht erfüllen können.»
Und Monika Baumann, Züchterin bei der Getreidezüchtung Peter Kunz gzpk legt nach: «Züchtung ist viel anspruchsvoller als das simple Lego-Spiel, das uns eine mächtige Industrielobby vorgaukeln will. Es braucht mehr Mittel und klare Regeln, dass die erfolgreiche Schweizer Biozüchtung weitergeführt werden kann. Die EU-Lösung ist dafür nicht geeignet. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er wie angekündigt einen vorsichtigen Kurs fährt und das Vorsorgeprinzip berücksichtigt.»
«Ein Zulassungsverfahren, das sich am EU-Entwurf orientiert widerspricht nicht nur klar dem Willen der Schweizer Bevölkerung, die sich eine strikte Risikoprüfung wünscht, sondern auch Empfehlungen wissenschaftlicher Expert:innen etwa der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA oder der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich EKAH», sagt Isabel Sommer, Geschäftsleiterin der Schweizer Allianz Gentechfrei SAG.
Gemeinsames Positionspapier
Auch eine Allianz von über sechzig Verbänden und Organisationen stellte bereits im Sommer in einem gemeinsamen Positionspapier klar, dass die neue Gentechnik in der Schweiz strikt reguliert werden muss. Sie fordert, dass die sogenannte neue Gentechnik weiterhin gleich behandelt wird wie herkömmliche. Denn auch diese greift gezielt in das Erbgut von Lebewesen und Pflanzen ein. Gerade bei den neuen Gentechnik-Methoden sind die Folgen für Umwelt und Menschen noch viel zu wenig erforscht. Alle gentechnisch veränderten Produkte sollen weiterhin als solche gekennzeichnet bleiben. Nur dank dieser Transparenz haben es Konsumentinnen und Konsumenten in der Hand, ob sie Gentechnik kaufen und konsumieren oder nicht. Zudem sollen Koexistenz und Haftung sichergestellt werden. Es braucht effektive Massnahmen, um eine Vermischung von Produkten mit und ohne Gentechnik zu verhindern. Die Kosten müssen von den Verursachern getragen werden.
Das Positionspapier wurde im Juni 2023 von rund sechzig Organisationen, Institutionen und Stiftungen aus den Bereichen Umwelt-, Tier- und Naturschutz, Entwicklungspolitik, Konsument:innenschutz, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Landwirtschaft, Züchtung, Saatgutproduktion, Lebensmittelwirtschaft, Initiativen aus der Klimaschutzbewegung und aus den Bewegungen für sozial und ökologisch verantwortungsvolle Ernährungssysteme unterzeichnet.