- 23. August 2024
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Die Agrarallianz will mehr Biodiversität in der Landwirtschaft. Zwei Aargauer Bio-Betriebe zeigen auf, wie das funktioniert.
«Biodiversität hat viel mit Freude und mit einem guten Einkommen zu tun», erklärt Thomas Baumann den Medienschaffenden, die der Einladung der Agrarallianz Mitte August auf seinen biologisch bewirtschafteten Hof Galegge in Suhr AG gefolgt sind. Die Biodiversität ist neben der Haltung von Milchziegen, dem Ackerbau und der Direktvermarktung einer von vier Betriebszweigen. «Der beste!», wie Thomas Baumann zufrieden feststellt, obwohl die Biodiversitätsförderflächen auch viel Arbeit bedeuten.
Die Biodiversitätsinitiative kommt am 22. September zur Abstimmung. Sie will die Schweizer Landschaften als wichtige Ressource in ihrer Funktionsfähigkeit und Schönheit für Mensch und Natur, auch für spätere Generationen, als Lebens- und Produktionsgrundlage sichern. Der Besuch auf zwei Bio-Betrieben im Vorfeld soll eine «einordnende Sicht auf die biodiversitätsfördernde Landwirtschaft» ermöglichen, erklärt Agrarallianz-Geschäftsführerin Rebecca Knoth-Letsch.
Die Organisation, die rund zwanzig Institutionen aus den Bereichen Landwirtschaft, Konsum, Umwelt- und Tierschutz vereinigt, darunter auch die beiden bionetz.ch-Mitglieder Bio Suisse und FiBL, verzichtet auf eine Parole zur Biodiversitätsinitiative. Trotzdem habe die Agrarallianz eine klare Haltung zur Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft, sagt Knoth-Letsch. Dazu hält die Agrarallianz fünf Punkte fest, unter anderem, dass der Handlungsbedarf unbestritten sei und die Biodiversität eine Grundlage für die Landwirtschaft darstelle.
Miteinander von Mensch und Natur
Betriebsleiter Thomas Baumann macht seit über zwanzig Jahren bei Labiola mit, einem Programm des Kantons Aargau für Biodiversität und Landschaftsqualität. Auf der Rundfahrt mit dem Ladewagen können sich die Medienschaffenden ein Bild davon machen, wie die Biodiversität auf einem Landwirtschaftsbetrieb erfolgreich gefördert wird.
Auf ein paar Aren weiden wenige Schweine, die den Boden offen halten für die stark gefährdete Kreuzkröte. In der Umgebung brüten zudem wieder Vögel wie der Neuntöter, auch die Goldammer kam zurück. «Das sind direkte Auswirkungen, die ich erleben kann», sagt Thomas Baumann. «Als Bauer freue ich mich, wenn ich den Tieren eine Heimat geben kann», erklärt er. Und auch die Menschen, die das Naherholungsgebiet nutzen, freuen sich an der Schönheit der Landschaft – das sei praktisch «die Lebensversicherung für die Landwirtschaft», sagt der Bio-Landwirt, zum Beispiel wenn sich die Frage nach einer Einzonung von landwirtschaftlich genutzten Flächen stelle.
Schlusslicht Schweiz
In den letzten drei Jahrzehnten ging die Artenvielfalt hierzulande insgesamt jedoch signifikant zurück. «Die Biodiversität, also die Vielfalt von Arten, Lebensräumen und Genen, ist auf Basis zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen ungenügend», erklärt Lukas Pfiffner, Mitarbeiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL, auf dem Hof Galegge. Die Hälfte der Lebensraumtypen ist gefährdet. Von den 1143 Insektenarten sind drei Fünftel gefährdet oder potenziell gefährdet.
Im internationalen Vergleich sieht die Biodiversitätskrise in der Schweiz gemäss Pfiffner noch gravierender aus: Das Alpenland gehört trotz seines potenziell hohen biologischen Reichtums aufgrund der geografisch bevorzugten Lage in Europa und der vielfältigen Topografie zu den OECD-Ländern mit dem höchsten Anteil an bedrohten Arten. Zudem gehört sie mit einem Anteil von 13 Prozent Schutzgebieten an der Landesfläche zu den Schlusslichtern in Europa: Der EU-27-Schnitt liegt bei 26 Prozent, Österreich verfügt über 29 Prozent Schutzgebietsanteil und Deutschland hat 37 Prozent. Die globale UNO-Vorgabe beträgt 30 Prozent.
Tiere, Pflanzen und Menschen im Einklang
Auf dem neu gebauten Haldenhof in Hallwil AG streben Kurt Brunner, Flurin Egeler und Reto Hunziker ebenfalls eine Landwirtschaft an, die im Einklang steht mit Tieren, Pflanzen und Menschen. Die verschiedenen Betriebszweige sollen einander ökologisch und ökonomisch ergänzen, lautet die Vision. Von den 37.5 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche sind 4.5 Hektaren Biodiversitätsförderflächen. Auch die biologisch bewirtschafteten Produktionsflächen leisten gemäss Co-Betriebsleiter Kurt Brunner bereits einen wesentlichen Beitrag zur Lebensraum-Erhaltung.
Ein Grossteil der Energie produziert der Demeter-Betrieb Haldenhof-Hallwil selber mittels Photovoltaik, Erdwärme und Holz. Regenwasser wird gesammelt, bewässert das Gewächshaus und gibt Grauwasser für die WC-Spülung und die Waschmaschine. Die Kühe geben Milch, Fleisch und Hofdünger für den Pflanzenbau. Vier Fünftel des Futters für die selber gezüchteten Hühner wird auf dem Hof produziert.
Die Kuhmilch wird zu Käse und anderen Milchprodukten verarbeitet. Das Getreide vom Hof wird zu Mehl und weiter zu Brot verarbeitet. Fast alles vom Haldenhof-Hallwil wird via Direktvermarktung verkauft. «Der Einkauf im Hofladen ist oft zu eiweisslastig», sagt Kurt Brunner. Um den Einkauf zu steuern, verlangt er nun 1.20 Franken pro Ei.
Gewisse Produkte werden an bionetz.ch-Mitglied Pico Lebensmittel AG geliefert. Kurt Brunner fährt zudem einmal pro Woche nach Zürich, um Waren an Restaurants zu liefern, die zu seiner Stammkundschaft zählen. Dabei kommt ihm zugute, dass er eine breite Produktepalette anbieten kann: Fleisch, Milchprodukte, Saison- und Lageremüse sowie Eier.
Gesunde, unbelastete Lebensmittel
Der Anteil an Biodiversitätsförderflächen, insbesondere von qualitativ wertvollen Lebensräumen, muss in Mangellagen erhöht werden, dies mit einer geeigneten Vernetzung in der Landschaft, erklärt Lukas Pfiffner.
Bei der agrarökologischen Biodiversitätsförderung auf den Betrieben geht es gemäss FiBL-Mitarbeiter nicht nur um Artenvielfalt und Naturschutz, sondern darum, ein produktives Anbausystem zu entwickeln, das gesunde, unbelastete Lebensmittel erzeugt und dies mit möglichst wenig Kollateralschäden in der Umwelt und beim Menschen. Dazu sei die Förderung der funktionellen Biodiversität ein Schlüsselfaktor, sagt er. Und: «Die beiden Bio-Betriebe in Suhr und Hallwil haben dafür Modellcharakter.»
Hauptursachen des Verlustes an Biodiversität
- Intensive Landwirtschaft/Landnutzung: hoher Input an Pestiziden, Stickstoff-Mineraldüngern, hohe Tierdichten, Vergrösserung der Schlaggrössen/Flurbereinigung, Einsatz schwerer Maschinen, intensivere Mechanisierung
- Verlust an qualitativ wertvollen Lebensräumen durch Ausdehnung von Intensivflächen
- Homogenisierung der Landschaft (Pflanzengesellschaften werden immer ähnlicher)
- Fragmentierung wertvoller Lebensräume und mangelnde Vernetzung
- Überbauung mit Siedlungen und Verkehrsinfrastrukturen
- Lichtverschmutzung (Signifikante Störungen nachtaktiver Organismen)
- Ausbreitung invasiver Neobiota (Flora und Fauna)
- Klimawandel: extreme Witterungsereignisse, Trockenheit, Überschwemmungen, Erosion
(Quelle: FiBL)
Quelle: «Medienfahrt Deutschschweiz zu Biodiversität in der Landwirtschaft», Agrarallianz, 14.08.24