- 18. Juni 2010
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(Matthias Wiesmann, bionetz.ch) - Die Zeitschrift "Test" veröffentlicht in der Juni-Nummer 2010 einen 9-seitigen Artikel mit welchem sie Bilanz über 85 Lebensmitteltests seit 2002 ziehen will. Der "Tagesanzeiger" serviert ihn seinen Lesern mit der zusammenfassenden Erkenntnis im Untertitel: "Bio ist nicht gesünder".
Zunächst zum Aufnahmevermögen der "Tagesanzeiger"-Redaktors:
Im 9-seitigen Beitrag von "Test" gibt es einen einzigen 19-zeiligen Abschnitt, der sich direkt auf einen Gesundheitsaspekt bezieht - unter dem Titel: "Bio hat nicht mehr bioaktive Stoffe". Er endet mit der Feststellung: "Die Mengen an sekundären Pflanzenstoffen reichten jeweils nicht für gesundheitliche Vorteile. Wir haben sie daher nicht bewertet." Unter fachlichen Aspekten wäre allein schon diese Feststellung diskussionswürdig. Im Hinblick auf die journalistische Arbeit des Tagesanzeigers ist nur festzuhalten, dass "Test" hier überhaupt keine generelle Aussage darüber macht, ob Biolebensmittel gesünder seien oder nicht - insbesondere keine Aussage im Sinn von "Bio ist nicht gesünder".
Wenn sich der "Tagesanzeiger" schon bemüssigt fühlt, ein - von "Test" nicht gefälltes - Gesamturteil abzugeben, dann müssten zumindest zwei weitere Aussagen einbezogen werden:
Milch
"Test" berichtet über Milch. Der Titel: "Frische Biovollmilch am besten". Als Qualitätsmerkmal erwähnt "Test": "Jede (Bio-) Milch enthielt vergleichsweise viel konjugierte Linol- und Alpha-Linolsäure." Auf diese Omega-3-Fettsäure ist der Mensch angewiesen, da er sie nicht selber bilden kann. Es handelt sich nicht speziell um einen Bio- sondern um einen Fütterungsaspekt. Mit Kraftfutter getriebene Turbokühe bilden sie weniger als weitgehend mit Rauhfutter ernährte Bio-Tiere.
Pestizidbelastung
Der andere Aspekt ist die Pestizidbelastung. "Test" wie "Tagesanzeiger" scheinen sich damit zu begnügen, dass die festgestellten Rückstände auch in konventionellen Nahrungsmitteln fast immer unterhalb der Grenzwerte liegen. Weniger als Grenzwert = gesund, scheint die Formel zu heissen, also muss man die kaum vorhandene Belastung von Bionahrungsmitteln gar nicht in die gesundheitliche Betrachtung einbeziehen. Da denkt manche Konsumentin anders.
Wer sich in Lebensmittelverarbeitung und Biorichtlinien halbwegs auskennt (soll man das von einer Tageszeitungsredaktion überhaupt erwarten?), wird noch eine Menge weiterer Anmerkungen an die Urteile von "Test" anbringen wollen. Warum schmeckt das Sonnenblumenöl des einen Grossverteilers viel aggressiver als dasjenige des anderen? Weil der eine (aus qualitativen Gründen!) nach den strengeren Bio Suisse-Richtlinien arbeitet als der andere und ein Verfahren (Dämpfen) nicht einsetzt. Der Tester dürfte zum Urteil kommen: das schonender verarbeitete Produkt, nicht gedämpfte, ist schlechter.
Im "Test"-Beitrag kommt auch Vitamin C-ärmere Bio-Babynahrung zur Sprache. Das Urteil sieht gewiss anders aus, wenn man weiss, dass Baby-Nahrung grundsätzlich vitaminiert werden muss. Dass diejenigen Bio-Hersteller, welche lieber überhaupt auf Vitaminierung verzichten würden, diesbezüglich zurückhaltender sind, liegt auf der Hand. Der Nachweis höherer Vitamin-Anteile in konventioneller Babynahrung ist ein sehr fragwürdiges Qualitätskriterium.
Der zusammenfassende Bericht von "Test" ist das eine. Er ist einigermassen differenziert, wenn auch sehr unterschiedliche Kriterien - wie bei allen Tests - in einen Topf geworfen werden bzw. in ein Gesamturteil münden. (Man mag halt dem Differenzierungsvermögen der LeserInnen nicht zu viel zumuten.)
Etwas anderes ist das, was der Tagesanzeiger daraus macht. Mit journalistischer Sorgfalt und Sachkompetenz hat dies nicht viel zu tun. Eher mit Stimmungsmache.
Matthias Wiesmann, 29.05.2010