- 31. Januar 2023
- Nachrichten | Branchen-News
Die Schweiz soll ihre Sicherheitsbarrieren für neue Gentechmethoden in der Pflanzenzucht öffnen. Das wollen die Fürsprecherinnen und Verfechter der Genschere Crispr/Cas und weiterer Werkzeuge aus dem Genlabor.
Ende 2025 fällt wohl das Gentechmoratorium. Ab dann gelten die Vorschriften des Gentechnikrechts. Bis dann soll entschieden werden, ob die vorsorgliche Risikoprüfung, die Deklarationspflicht und die Haftungsbestimmungen im Gentechnikrecht auch für die neuen Technologien wie Crispr/Cas gelten oder nicht.
Bio unter Druck
Im Biolandbau ist Gentechnik verboten. Weltweit. Zurzeit. Bio-LandwirtInnen geraten unter Druck, sich den modernen Züchtungsverfahren nicht hinterwäldlerisch zu verschliessen. Diese würden bloss natürliche Prozesse verbessern und beschleunigen. Und seien im Erntegut ohnehin nicht nachzuweisen. Noch nicht?
Radikale Abkehr vom Bio-Gedanken
Bio und neue Gentechnik: Es wäre eine radikale Abkehr. Denn im Biolandbau geht es nicht allein ums Endprodukt. Sondern zuerst um seinen Produktionsprozess im Einklang mit der Natur: schonend zu Nützlingen, nährend für Bodenorganismen, rücksichtsvoll mit Biodiversität und Gewässern. Ein Rüebli ist nur bio, wenn es diese Werte in sich trägt. Und zwar von Anfang an. Darum spielt es für die Biolandwirtschaft auch eine grosse Rolle, wie das eingesetzte Saatgut entstand. Biozüchtung respektiert die Unversehrtheit der Zelle, im Wissen um den Informationsaustausch zwischen Erbgut und Umwelt. Biozüchtung lässt alle Zuchtbetriebe am Züchtungsmaterial teilhaben. Für eine standortangepasste, klimatolerante Genvielfalt. Patentierte Gentechniken haben in diese Ethik keinen Platz.
Marketing - keine Realität
Die Gentechindustrie und ihre Befürworter versprechen mithilfe der sogenannten neuen Gentechniken eine kostengünstige, schnelle, gezielte Pflanzenzucht für ergiebige krankheitsresistente und klimatolerante Nutzpflanzen. Ausserdem sei die Genomeditierung, etwa mit der Genschere Crispr/Cas, weniger riskant für Mensch und Umwelt, weil dabei «naturähnlich» keine oder nur arteigene Gene ins Erbgut eines Organismus eingebaut würden. Im Gegensatz zur alten Transgenetik, die artfremde Gene einsetzt. Noch sind die Beteuerungen blosses Marketing. Die Konzerne haben die Vorzüge und Sicherheit der neuen Gentechniken bisher nicht bewiesen. Ihre Aussichten beeindrucken trotzdem, auch bisher gentechkritische Kreise. Und die Politik. Das Parlament hat das Gentechmoratorium 2021 zwar ein weiteres Mal verlängert. Ohne erneute Erstreckung wird es jedoch Ende 2025 fallen. Ab dann dürfen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) wie Pflanzen, Pflanzenteile, Saatgut, anderes pflanzliches Vermehrungsmaterial und Tiere auch zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder waldwirtschaftlichen Zwecken bewilligt werden, falls sie die Vorgaben des Gentechnikgesetzes einhalten. Doch noch bevor dieses zur Anwendung kommt, will die Politik entscheiden, ob mit neuen Gentechniken verändertes Pflanzen- material ihm nicht oder beschränkt unterstehen soll.
Politik liebäugelt
Der Bundesrat hat den Auftrag bis Mitte 2024 vorzuschlagen, wie das Gesetz gegebenenfalls anzupassen wäre. Im Fokus steht die technologiebasierte Risikoprüfung. Laut aktuellem Recht müssen die Hersteller von GVO vor deren Vermarktung nachweisen, dass von der angewandten Technologie keine Risiken für Mensch, Tier, Umwelt, Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit ausgehen. «Es ist doch sehr plausibel, dass nicht jede Anwendung gleich gefährlich ist», sagte Jürg Niklaus, Präsident des Vereins «Sorten für morgen» im Herbst 2022 auf dem Podium der Delegiertenversammlung von Bio Suisse. Es sei richtig, für die neuen Gentechniken Erleichterungen zu erwägen. In der EU läuft mit zeitlichem Vorsprung ein ähnlicher politischer Prozess. Bis Mitte 2023 wird die EU-Kommission – der «europäische Bundesrat» – wohl vorschlagen, den Sicherheitsnachweis für mit neuen Gentechniken erzeugte Pflanzen vom Gentechnikrecht auszunehmen. Der Entscheid darüber soll schon Anfang 2024 fallen. Er wird die Überlegungen des Schweizer Bundesrates beeinflussen.
Mehraufwand für die gentechfreie Biobranche
Will die Schweizer Biolandwirtschaft gentechfrei bleiben, könnte eine Sonderbehandlung der neuen Gentechniken dies massiv erschweren. Aktuell regelt das Gesetz so entscheidende Aspekte wie die Deklarationspflicht von GVO und die verschärfte Haftung bei Schäden durch GVO, zum Beispiel an Biokulturen. Es ist völlig offen, ob diese Vorgaben in eine Neuregelung der neuen Gentechniken übernommen würden. Ohne Deklarationspflicht müssten Biolabels mit einem eigenen Nachweis- und Kontrollsystem garantieren, dass ihre Produkte gentechfrei sind. Und zwar von der Pflanzenzüchtung bis auf den Teller. Die Kosten dafür würden an den Bioprodukten hängenbleiben. Das Verursacherprinzip wäre auf den Kopf gestellt. Die ökologischen Landbaubewegungen Europas (IFOAM Organics Europe) oder auch der deutsche Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sowie Demeter sprechen sich für eine strikte Regelung der neuen Gentechniken im Gentechnikrecht aus.
Was sagt Bio Suisse?
«Zuerst müssen wir sicherstellen, dass unsere Mitglieder wissen, worum es bei Crispr/Cas und Co. geht. Darum haben wir die Diskussion im Verband angeschoben», sagt Präsident Urs Brändli. An der Delegiertenversammlung im April soll es eine Resolution dazu geben. «Klar ist, dass nur eine strenge Regulierung die Gentechfreiheit der Bioprodukte langfristig sicherstellt.»
Was ist ein GVO?
Laut heutigem Gentechnikgesetz sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO) «Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt». Sollte das Gesetz künftig für neue Gentechniken nicht mehr gelten, müsste diese Definition angepasst werden. «Gentechnisch verändert» hätte dann (ohne anderslautenden Zusatz) auch in der Bioverordnung eine neue Bedeutung.
Quelle: Ausgabe 1/23 vom Bioaktuell