Gute Nachrichten für Kirschen-Liebhaber: Die süssen Früchte haben wieder Saison. Schlechte Nachrichten für Bio-Fans: Bio-Kirschen gibt es nur wenige. Dies soll sich in Zukunft ändern – dank moderner Produktionsformen.
Gluschtig sehen sie aus, die dunkelroten und grossfruchtigen Kirschen. Hans Häfelfinger schreitet mit kritischem Blick durch die Baumreihen, hebt Äste hoch, prüft den Reifezustand der Kirschen und hält Ausschau nach Schädlingen. In wenigen Tagen geht die Ernte der Tafelkirschen los. Die ersten Konservenkirschen hat der Landwirt bereits gepflückt. Im Baselbiet, dem grössten Kirschen-Anbaugebiet der Schweiz, ist Häfelfinger lediglich einer von unzähligen Kirschenproduzenten. Dennoch operiert er in einer Nische. Der Obstbauer aus Diegten produziert Bio-Kirschen – und das seit 1993.
Bio-Kirschen können Nachfrage bei weitem nicht decken
Probleme, seine süssen Früchte abzusetzen, wird Häfelfinger keine haben. Denn Grossverteiler, Konservenindustrie und Schnapsbrennereien reissen sich geradezu um Bio-Kirschen. Grund: Die Nachfrage nach biologisch produzierten Kirschen übersteigt das Angebot um ein Vielfaches. Bio Suisse schätzt die absetzbare Menge an Konservenkirschen auf 50 bis 70 Tonnen pro Jahr. Obstbauern produzieren indes nur rund 10 Tonnen jährlich. Noch dramatischer ist das Missverhältnis bei den Tafelkirschen: Einem Angebot von rund 10 Tonnen steht eine Nachfrage von 100 bis 200 Tonnen gegenüber. Coop könne deshalb nur in den grösseren Filialen Bio-Kirschen anbieten, erklärt Mediensprecherin Denise Stadler. Auch die Migros wird nur in grösseren Standorten ihren Kunden Bio-Kirschen anbieten können, erklärt Mediensprecherin Timna Rother. Im letzten Jahr hatte die Migros in den Genossenschaften Ostschweiz und Luzern Kirschen in Bio-Qualität verkauft – insgesamt 3'400 kg. "Wir gehen davon aus, dass wir in diesen beiden Genossenschaften 8'000 kg hätten verkaufen können", so Rother.
Bio gewinnt Marktanteile, nicht aber bei Kirschen
Die Nachfrage nach biologisch produzierten Nahrungsmitteln nimmt von Jahr zu Jahr zu. Bei den Äpfeln konnte das Angebot mit der steigenden Nachfrage Schritt halten. So hat sich die durchschnittliche Produktionsmenge in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Mittlerweile kommen Bio-Äpfel auf einen Marktanteil von rund fünf Prozent (insgesamt kamen Bio-Früchte auf einen Marktanteil von 8 Prozent im letzten Jahr). Bei den Kirschen hingegen liegt der Bio-Anteil bei lediglich 0,5 bis 1 Prozent. Bauern, die in den letzten Jahren auf Bio umgestellt haben, hätten sich oft auf die Milchproduktion konzentriert, erklärt Hans Häfelfinger. Die Kirschbäume seien oft nicht mehr gepflegt oder gar ausgerissen worden. Denn der Anbau von Bio-Kirschen galt als unmöglich. Die kleinen Früchte sind eine äusserst empfindliche Kultur. Um die Kirschen vor den ärgsten Schädlingen – Kirschenfliegen, Blattläusen und dem Fäulnispilz Monilia – zu schützen, greifen konventionell wirtschaftende Bauern zu synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Bio-Bauern ist dies allerdings nicht erlaubt.
Modernisierung nötig
Dass die Bio-Kirschenproduktion einen schlechten Ruf habe, weiss auch Andreas Häseli. "Diese Meinung ist in den Köpfen der Obstproduzenten fest zementiert", erklärt der Obst- und Weinbau-Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Häseli, der seit Jahren nach Wegen sucht, um den Kirschenanbau bio-kompatibel zu machen, sagt: "Der Anbau von Bio-Kirschen ist sehr wohl machbar. Und zwar mit gleichen Erträgen und vergleichbaren Qualitäten wie im konventionellen Anbau." Nötig sei aber eine Modernisierung der Produktion. Der heute vorherrschende Anbau auf Halb- und Hochstammbäumen sei für Tafelobst nicht mehr geeignet. Zu klein seien die Früchte, zu unrentabel die Bewirtschaftung und zu wenig planbar die Ernte. Grossverteiler aber wollen Gewissheit, dass die Kirschen auch tatsächlich den Weg in die Läden finden und nicht den Launen des Wetters zum Opfer fallen.
Grossfruchtige Kirschen aus Obst-Anlagen
Die Zukunft des Bio-Kirschenanbaus lässt sich beim FiBL in Frick AG besichtigen: Eine moderne Obstanlage mit Niederstammbäumen, die sich derzeit voll mit grosskalibrigen und makellosen Kirschen präsentierten. Obstbauexperte Häseli führt durch die Anlage. "Solche Bilder kannte man im Bio-Anbau bislang nicht." Möglich macht dies unter anderem ein engmaschiges Netz, mit dem die ganze Anlage eingehüllt ist. Dieses schützt die Kirschen nicht nur vor hungrigen Vögeln, sondern ebenso vor der gefürchteten Kirschenfliege, die ihre Eier in die kleinen Früchte legt, womit die Kirschen nicht mehr als Tafelfrüchte verkauft werden können. Die Bäume sind zudem mit einer Folie überdacht – ein Witterungsschutz, der verhindert, dass die Kirschen durch den Regen aufplatzen. Denn die grossfruchtigen Tafelkirschen sind besonders empfindlich. Das Regendach erfüllt noch einen weiteren Zweck: Frühzeitig aufgespannt, tritt dadurch der Monilia-Pilz bedeutend weniger auf. Das haben langjährige Tests ergeben. Diese zeigten auch, dass sich mittels Produktion in Obst-Anlagen über die Jahre gleichbleibende Erträge erzielen lassen. Und dass bis zu 90 Prozent der Früchte als Tafelwaren verkauft werden können. Wirbt Häseli bei Landwirten für den Bio-Kirschenanbau, dann hat er noch einen weiteren Trumpf im Ärmel: Bio-Bauern lösen für ihre Früchte deutlich bessere Preise.
Anbaufläche nimmt zu
Die Arbeit von Häseli trägt bereits erste Früchte: Der Anbau von Niederstammkulturen in Anlagen nahm in den letzten Jahren zu. 2006 belief sich die deren Fläche auf eine Hektare, 2011 waren es bereits 10 Hektaren. Geht es im gleichen Tempo weiter, stehen die Chancen gut, dass Coop und Migros dereinst die gewünschten Mengen an Bio-Kirschen erhalten. Die Nachfrage ist vorhanden.
Quelle: Michael Wahl, LID-Mediendienst