- 06. Dezember 2016
- Nachrichten | Branchen-News
Unter dem Titel „Bio 3.0 -Visionen für die Biobranche und den Biokonsum“ diskutieren 270 Produzentinnen, Verarbeiter, Forscherinnen, Berater, Kontrolleurinnen, Züchter sowie Vertreterinnen des Detailhandels. Anregend und vielfältig sind die Voten. Bemerkenswert: Frauen und Junge sind echt vertreten.
Fausta Borsani
Welsche Demonstration zur Förderung des Biokonsums: Pascal Olivier (Bio Suisse) entkorkt unter Beifall eine schöne Flasche Wein, aus kupferfreier Produktion. Der smarte und geniesserische Konsument trinkt bio, denn Weinreben werden hier zu Lande auf nur 4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche angebaut, aber darauf werden 20% der gehandelten Pestizide gespritzt. Urs Niggli, seines Zeichens „Bio 3.0 Papst“ und Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL erklärt plakativ Bio 3.0. Es geht bei dieser, der digitalen Welt entlehnten Abkürzung nicht nur um die strategische Richtung, welche die Bioszene einschlagen kann, sondern mehr darum, wie Bio mit den bald 7.5 Milliarden Städtern umgeht. Wie soll Öko auf neue Möglichkeiten, etwa Nanotechnologie, Googlemaps, Melkroboter und Molekularbiologie antworten? Der Markt wird sich sogenannten „Prosumern“ stellen müssen, die gleichzeitig produzieren und konsumieren und ihren Salat in urbanen Gärten senkrecht auf Wänden ziehen. Und Niggli wünscht: smarte Agrartechnik sowie Präzisionslandwirtschaft soll auf grossen Flächen in zentrumsfernen Regionen Einzug halten.
Definition von Innovation
„Die technologische Innovation wird allgegenwärtig, wir können smart auswählen und unsererseits soziale und ökologische, sowie technische Innovation vorantreiben“, ermuntert Niggli und illustriert eine ökologische Innovation aus der FiBL Forschung: Der Pilz Duddingtonia fragrans bekämpft Larven von Schaf- und Rinderparasiten bereits auf der Weide, sodass die Tiere nicht mehr befallen werden. Stephanie Strotdrees von Bioland e.V. , Deutschlands grösstem Bioverband, betont: „Innovation ist aber auch Inspiration, wie arbeitswirtschaftlich tolle Stallsysteme die dem Tierwohl optimal genügen, es sind hohe Erträge bei chemiefreier Landwirtschaft, es sind lasergesteuerte Hacken, aber auch moderne Vermarktungsformen wie Food Assembly - ein System der Internetvernetzung und Vermarktung zwischen Erzeugern und Verbrauchern“. Laura Schälchli, ehrenamtliche Präsidentin von Slow Food Youth Schweiz setzt eins drauf: Sie koordiniert und initiiert ein Feuerwerk von neuen Ess-Veranstaltungsformaten, die manchmal mit konventionellen Namen wie Stammtisch daherkommen, manchmal aber auch als Eat-Ins bezeichnet werden, passend zum Jugendslang.
Why?
Schälchli Schälchli erreicht sehr viele junge Menschen der Generation Y, die sich fragen „why?“ englisch für „warum?“. Sie machen heute 25% der Konsumentinnen und Konsumenten aus, sind zwischen 1980 und 1999 geboren, digitale Nomaden, sozial vernetzt und auf der ständigen Suche nach Happyness. Ihre simple Forderung: Lebensmittel sollen gut, sauber und fair sein. Oder Englisch: eat real food! Die Bewegung hat in der Schweiz digital bereits mehr als 14'000 Freunde, die sich ständig und überall mitteilen, gegenseitig bilden, inspirieren, anregen, informieren, zum Essen und Kochen und Teilen einladen. Das Handy ist Bühne, Mikrofon, Flugblatt, Kursdokumentation, Kochbuch, Tagebuch und Werbeblock in einem. Selbstbewusst sagt Schälchli: „Wir wissen, dass wir die Verantwortung tragen und wir können echt geniessen, no Wiederspruch. Wir sind Co-Produzenten, Abonnenten und Teilnehmer“.
Aus der Pistole geschossen
Jens Jung, der Chef der Bäckereien John Baker in Zürich, liebt die Provokation. „Ich mache nur noch, was ich will, ich mache es gut und rede immer und überall darüber“, teilt er überzeugt mit. Irgendwelche Labels braucht er dafür nicht und „bioregionalsaisonal“ ist sowieso logo. Eher konfrontiert er seine Laufkundschaft mit einer Pistole auf der Verpackung. Bei Verzicht darauf gibt es Preisnachlass. Brot ist an dieser kurzweiligen und heiteren Tagung sowieso die gewichtigste Innovation und die Köchin und angehende Bäuerin Rebecca Clopath leitet quirlig die Degustation: Zopf mit Kastanienmehl, Biertresterbrot, Kürbispresskuchenbrot und vieles mehr, mehr ... mehr.
Drei Stichworte von Laura Schälchli
Bio
Bio ist Säule, ein Must. Wir sind aber auch die Teilhaber der Zero Waste oder der Nose to Tail Bewegung. Wir sind nicht teil einer linearen Warenkette. Wir verkörpern den Kreislauf, real und digital.
Preis
Wenn ich Bäuerin wäre, möchte ich, dass Konsumenten 20 - nicht 7 - Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Letztens kaufte ich Lichtwurzeln zu 36 Franken das Kilo. Zwei Stück. Weniger ist mehr.
Einkaufszettel
Ich esse nichts, das mehr als fünf Ingredienzien hat. Ich esse nichts, dessen Inhaltsstoffe ich nicht aussprechen kann.
Dazu auch Artikel Schweizerbauer vom 6.Dezember 2016